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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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einmal wußte, welches Jahr nach Christi Geburt wir jetzt haben. Bevor Grigori abtrat, gab es noch einen Zwischenfall. An den Angeklagten gewandt, fragte der Präsident, ob er zu den Aussagen etwas zu bemerken habe.
    »Bis auf das mit der Tür hat er in allem die Wahrheit gesagt«, rief Mitja laut. »Daß er mir die Läuse ausgekämmt hat, dafür danke ich ihm. Daß er mir die Mißhandlung verziehen hat, dafür danke ich ihm. Der alte Mann war sein Leben lang ehrenhaft und meinem Vater treu wie siebenhundert Pudel.«
    »Angeklagter, wählen Sie Ihre Worte besser!« sagte der Präsident streng.
    »Ich bin kein Pudel«, brummte auch Grigori.
    »Na, dann will ich der Pudel sein, ich selber!« rief Mitja. »Wenn das beleidigend ist, so beziehe ich es auf mich und bitte ihn um Verzeihung. Ich war eine Bestie und habe ihn roh behandelt! Auch den alten Satyr habe ich roh behandelt.«
    »Welchen alten Satyr?« fragte der Präsident wieder.
    »Na, den Clown ... Meinen Vater, Fjodor Pawlowitsch.«
    Der Präsident schärfte Mitja wieder und wieder aufs nachdrücklichste und strengste ein, seine Ausdrücke doch vorsichtiger zu wählen.
    »Sie schaden sich selbst in der Meinung Ihrer Richter.«
    Ebenso geschickt verfuhr der Verteidiger auch bei der Vernehmung des Zeugen Rakitin. Rakitin war einer der wichtigsten Zeugen, und der Staatsanwalt legte auf ihn zweifellos hohen Wert. Es stellte sich heraus, daß er alles wußte, erstaunlich viel wußte, überall dabeigewesen war, alles gesehen und mit allen gesprochen hatte und auf das genaueste die Biographie Fjodor Pawlowitschs und überhaupt aller Karamasows kannte. Über das Kuvert mit den dreitausend Rubeln hatte allerdings auch er nur von Mitja etwas gehört. Dafür schilderte er eingehend Mitjas Streiche in dem Restaurant »Zur Residenz«, alle Worte und Gebärden, mit denen dieser sich kompromittiert hatte, und erzählte auch die Geschichte von dem »Bastwisch«, dem Bärtchen es Stabskapitäns Snegirjow. Über den wichtigen Punkt, ob Fjodor Pawlowitsch bei der Abrechnung über das Gut seinem Sohn Mitja etwas schuldig geblieben war, konnte aber selbst Rakitin nichts aussagen und behalf sich mit geringschätzigen Redensarten allgemeiner Art. »Welcher Mensch«, sagte er, »hätte herausfinden können, wer von ihnen die Schuld trug, und nachrechnen, wer wem etwas schuldig geblieben war bei der sinnlosen Karamasowerei dort, wo keiner eine Spur von Selbsterkenntnis hatte.« Die ganze Tragödie des Verbrechens stellte er dar als ein Produkt der veralteten Sitten des Leibeigenschaftssystems und als eine Folge der Unordnung und des Mangels an zweckentsprechenden Einrichtungen, worunter Rußland so leide. Kurz, er durfte sich frei aussprechen. Herr Rakitin trat bei diesem Prozeß zum erstenmal in der Öffentlichkeit auf und begann sofort die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; der Staatsanwalt wußte, daß der Zeuge einen Aufsatz über das vorliegende Verbrechen für ein Journal in Arbeit hatte, und zitierte später in seiner Rede, wie wir sehen werden, einige Gedanken aus diesem ihm also bereits bekannten Aufsatz. Das Bild, das der Zeuge entwarf, war düster und unterstützte die Anklage stark. Darüber hinaus aber fesselten Rakitins Darlegungen das Publikum durch die Selbständigkeit der Gedanken und die außerordentliche Vornehmheit der Gesinnung. Zwei- oder dreimal ließ sich sogar spontaner Applaus vernehmen, besonders an den Stellen, wo Rakitin von der Leibeigenschaft und von dem unter der Unordnung leidenden Rußland sprach. Dennoch beging Rakitin – ein junger Mensch – einen kleinen Fehler, den der Verteidiger sogleich vorzüglich ausnutzte. Als er nämlich auf gewisse Fragen über Gruschenka antwortete, ließ er sich von seinem Erfolg, dessen er sich natürlich schon bewußt war, und von der Höhe der Vornehmheit, zu der er sich emporgeschwungen hatte, hinreißen und erlaubte sich, von Agrafena Alexandrowna etwas verächtlich als von der »Mätresse des Kaufmanns Samsonow« zu sprechen. Er hätte später viel darum gegeben, dieses Wort ungesprochen zu machen; denn, wegen dieses Wortes packte ihn Fetjukowitsch sogleich beim Kragen. Und alles nur, weil Rakitin nicht damit gerechnet hatte, daß sich jener in so kurzer Zeit mit der Prozeßsache bis in die intimen Einzelheiten hatte vertraut machen können.
    »Gestatten Sie eine Frage«, begann der Verteidiger mit höchst liebenswürdigem und sogar respektvollem Lächeln, als die Reihe, Fragen zu stellen, an ihn kam. »Sie sind

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