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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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auf neue Weise vor aller Augen: plastischer, in konzentrierter Fassung, beleuchtet von einem verhängnisvollen, unerbittlichen Licht. Ich erinnere mich, wie der Präsident unmittelbar nach der Verlesung laut und nachdrücklich die Frage an Mitja richtete: »Angeklagter, bekennen Sie sich schuldig?«
    Mitja erhob sich schnell von seinem Platz.
    »Ich bekenne mich schuldig der Trunksucht und Ausschweifung, des Müßigganges und der Völlerei!«, rief er wieder unerwartet laut und etwas unbeherrscht. »Ich wollte gerade in dem Augenblick auf Lebenszeit ein ehrenhafter Mensch werden, als das Schicksal mich beim Schopf packte! Doch am Tod des alten Mannes, meines Feindes und Vaters, bin ich unschuldig! Auch an dem Raub bin ich unschuldig! Dmitri Karamasow ist ein Schuft, aber kein Dieb!«
    Nachdem er das laut gesagt hatte, setzte er sich wieder auf seinen Platz; er schien am ganzen Körper zu zittern. Der Präsident wandte sich an ihn mit der kurzen, doch nachdrücklichen Ermahnung, nur auf Fragen zu antworten, sich aber nicht zu leidenschaftlichen, mit den Fragen nicht zusammenhängenden Ausrufen hinreißen zu lassen. Darauf ordnete er an, zur gerichtlichen Verhandlung zu schreiten. Alle Zeugen wurden zur Vereidigung hereingeführt, und ich sah zum erstenmal alle zusammen. Die Brüder des Angeklagten wurden jedoch zur Aussage ohne Vereidigung zugelassen. Nach einer Ermahnung von seiten des Geistlichen und des Präsidenten wurden die Zeugen wieder hinausgeführt und dort nach Möglichkeit getrennt voneinander gehalten. Darauf begann man sie einzeln wieder hereinzurufen.
2. Gefährliche Zeugen
    Ich weiß nicht, ob der Präsident die Zeugen des Staatsanwalts und der Verteidigung irgendwie in Gruppen eingeteilt hatte und in welcher Reihenfolge er sie eigentlich aufzurufen wünschte. Wahrscheinlich war das alles genau geregelt. Ich weiß nur, daß zuerst die Zeugen des Staatsanwalts aufgerufen wurden. Ich wiederhole, es liegt nicht in meiner Absicht, alle Vernehmungen Schritt für Schritt zu schildern. Außerdem würde sich meine Schilderung zum Teil als überflüssig herausstellen, da in den Plädoyers des Staatsanwalts und des Verteidigers Gang und Sinn aller abgegebenen Aussagen gleichsam unter einem Gesichtspunkt zusammengefaßt und neu beleuchtet wurden; ich habe wenigstens einzelne Partien dieser beachtenswerten Reden vollständig nachgeschrieben und werde sie zu gegebener Zeit wiedergeben – ebenso einen ungewöhnlichen und ganz unerwarteten Zwischenfall, der sich noch vor den Plädoyers abspielte und unzweifelhaft zu dem furchtbaren, verhängnisvollen Ausgang des Prozesses beitrug. Ich vermerke nur, daß gleich von den ersten Momenten der Verhandlung an eine charakteristische Eigenschaft dieses Prozesses deutlich hervortrat, nämlich die außerordentliche Wucht der Anklage im Vergleich zu den Mitteln, über die die Verteidigung verfügte. Das begriffen alle im ersten Augenblick, als man in diesem Gerichtssaal anfing, die Tatsachen zusammenzustellen und zu gruppieren, und diese ganze schreckliche Bluttat allmählich deutlicher hervortrat. Vielleicht kamen alle schon in den ersten Stadien der Verhandlung zu der Überzeugung, daß hier überhaupt kein Streit möglich war, daß die Sache keinem Zweifel unterlag und gar keine Plädoyers nötig waren, daß sie nur der Form halber gehalten werden mußten: daß der Angeklagte mit Sicherheit schuldig war. Ich glaube sogar, daß auch alle Damen ausnahmslos von seiner Schuld überzeugt waren, obwohl sie so leidenschaftlich die Freisprechung des interessanten Angeklagten wünschten. Ja noch mehr: Mir scheint, sie wären sogar betrübt gewesen, wenn sich seine Schuld nicht bestätigt hätte, weil dann sein Freispruch keine so effektvolle Lösung des Knotens gewesen wäre. Daß er jedoch freigesprochen werden würde, dessen waren sich merkwürdigerweise alle Damen fast bis zum letzten Augenblick sicher. »Er ist schuldig«, meinten sie, »aber man wird ihn freisprechen aus Humanität, auf Grund der neuen Ideen, die jetzt aufgekommen sind« – und so weiter und so fort. Eben deshalb waren sie ja mit solchem Eifer zur Verhandlung gelaufen. Die Männer dagegen interessierten sich besonders für den Kampf zwischen dem Staatsanwalt und dem berühmten Fetjukowitsch. Alle fragten sich verwundert: Was kann selbst ein Talent wie Fetjukowitsch aus so einer verlorenen Sache, aus so einem ausgegessenen Ei machen? Und darum verfolgten sie sein Vorgehen Schritt für Schritt mit gespannter

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