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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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der Brief sofort vom Sekretär laut verlesen wurde und einen erschütternden Eindruck machte. Man wandte sich an Mitja mit der Frage, ob er diesen Brief anerkenne.
    »Ja, er stammt von mit, er stammt von mir!« rief Mitja. »Wäre ich nicht betrunken gewesen, hätte ich ihn nicht geschrieben ... Wir haben uns aus vielen Gründen gehaßt, Katja, doch das eine schwöre ich dir: Ich habe dich geliebt, auch wenn ich dich haßte – aber du mich nicht!«
    Er fiel auf seinen Platz zurück und rang verzweifelt die Hände. Der Staatsanwalt und der Verteidiger veranstalteten mit Katerina Iwanowna ein Kreuzverhör, besonders in dieser Richtung: »Was hat Sie vorhin veranlaßt, dieses Beweisstück zu verheimlichen und in ganz anderem Sinn auszusagen?«
    »Ja, ich habe vorhin gelogen, gegen Ehre und Gewissen, aber ich wollte ihn retten, weil er mich so haßte und so verachtete!« rief Katja wie außer sich. »Oh, er hat mich immer verachtet, wissen Sie, von dem Augenblick an, als ich ihm seinerzeit zum Dank für dieses Geld zu Füßen fiel. Ich habe das eingesehen ... Ich fühlte es damals gleich, doch lange Zeit wollte ich mir selbst nicht glauben. Wie oft habe ich in seinen Augen gelesen: ›Du bist doch damals selbst zu mir gekommen!‹ Oh, er begriff ganz und gar nicht, warum ich zu ihm gelaufen war, er sucht hinter allem nur Gemeinheiten! Er mißt alles nach sich selbst, er denkt, alle Menschen sind von derselben Art wie er! Und heiraten wollte er mich nur deshalb, weil ich eine Erbschaft gemacht hatte. Ich habe immer den Verdacht gehabt, daß er es nur deshalb wollte! Oh, dieses Tier! Er war überzeugt, daß ich mein Leben lang vor ihm zittern würde, aus Scham darüber, daß ich damals zu ihm gekommen war. Und er meinte, er könnte mich deswegen für immer verachten und beherrschen – das ist der Grund, weswegen er mich heiraten wollte! So ist das alles! Ich versuchte, ihn durch meine Liebe zu besiegen, durch meine grenzenlose Liebe, sogar seine Untreue wollte ich ertragen, aber er begriff das gar nicht. Und kann er denn überhaupt etwas begreifen? Er ist ja ein Unmensch! Diesen Brief erhielt ich erst am anderen Tag abends, er wurde mir aus dem Restaurant gebracht – und noch am Morgen dieses Tages hatte ich ihm alles verzeihen wollen, alles, sogar seine Untreue!«
    Natürlich versuchten der Präsident und der Staatsanwalt sie zu beruhigen. Ich bin überzeugt, daß sie sich vielleicht selber schämten, die maßlose Aufregung der Zeugin auszunutzen und solche Bekenntnisse anzuhören. Ich erinnere mich gehört zu haben, wie sie zu ihr sagten: »Wir verstehen, wie peinlich Ihnen das ist. Glauben Sie, wir sind imstande das nachzufühlen«, und so weiter und so fort. Trotzdem holten sie aus dieser Frau, die in ihrem hysterischen Anfall wie von Sinnen war, noch weitere Aussagen heraus. Mit außerordentlicher Klarheit, die, wenn auch nur für kurze Zeit, in Momenten solcher hochgradigen geistigen Anspannung häufig auftritt, schilderte sie, wie Iwan Fjodorowitsch in diesen zwei Monaten vor lauter Nachdenken, auf welche Weise er seinen Bruder, »diesen Unmenschen und Mörder«, retten könnte, fast den Verstand verloren habe.
    »Er quälte sich!« rief sie. »Immer wollte er die Schuld seines Bruders geringer erscheinen lassen; indem er mir gestand, daß auch er seinen Vater nicht geliebt und vielleicht sogar dessen Tod gewünscht habe. Oh, er hat ein empfindsames Gewissen! Er quälte sich mit seinem Gewissen! Er hat mir alles gestanden, alles! Er kam alle Tage zu mir und sprach mit mir wie mit seinem einzigen Freund. Ich habe die Ehre, sein einziger Freund zu sein!« rief sie plötzlich herausfordernd, und ihre Augen blitzten. »Er ist zweimal zu Smerdjakow gegangen. Das eine Mal kam er danach zu mir und sagte: ›Wenn nicht mein Bruder, sondern Smerdjakow den Mord begangen hat, dann bin ich vielleicht auch schuldig, weil Smerdjakow wußte, daß ich meinen Vater nicht liebte, und möglicherweise glaubte, daß ich seinen Tod wünschte.‹ Damals zeigte ich ihm diesen Brief, und er kam vollständig zu der Überzeugung, daß sein Bruder den Mord begangen hatte – und das warf ihn ganz zu Boden. Er konnte nicht ertragen, daß sein Bruder ein Vatermörder war! Schon nach einer Woche sah ich, daß ihn das krank gemacht hatte. In den letzten Tagen redete er irre, wenn er bei mir saß. Ich sah, daß sich eine Geistesstörung herausbildete. Er phantasierte im Gehen; in diesem Zustand haben ihn viele auf der Straße gesehen. Der

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