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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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war und daß dieses Geld geraubt wurde? ›Aber‹, antwortete man mir, ›Smerdjakow hat ja das Geld in dem Kuvert gesehen!‹ Doch wann, wann hat er es zum letztenmal gesehen? Das ist es, wonach ich frage. Ich habe mit Smerdjakow gesprochen, und er hat mir gesagt, er habe es zwei Tage vor der Katastrophe gesehen. Warum jedoch darf ich nicht zum Beispiel annehmen, daß der alte Fjodor Pawlowitsch, der sich in seinem Haus eingeschlossen hatte und in krampfhafter Ungeduld seine Geliebte erwartete, auf einmal in müßiger Weile auf den Einfall kam, das Kuvert hervorzuholen und aufzumachen? ›Wozu das Kuvert?‹ mochte er denken. ›Sie wird mir am Ende gar nicht glauben? Aber wenn ich ihr die dreißig regenbogenfarbenen Scheine als ein offenes Päckchen zeige, wird das stärker wirken und ihr den Mund wäßrig machen!‹ Und so reißt er das Kuvert auf, nimmt das Geld heraus und wirft das Kuvert mit der Ungeniertheit des Hausherrn – und natürlich ohne ein Indiz zu fürchten – auf den Fußboden. Hören Sie, meine Herren Geschworenen, gibt es etwas, was leichter möglich wäre als ein solcher Hergang, wie ich ihn soeben skizziert habe? Warum soll das unmöglich sein? Wenn etwas Derartiges aber auch nur im Bereich des Möglichen liegt, wird die Anklage wegen Raubes ganz von selbst gegenstandslos: Es war kein Geld da – also hat auch kein Raub stattgefunden. Wenn das Kuvert auf dem Fußboden ein Indiz dafür sein soll, daß sich Geld in ihm befunden hatte, warum kann ich dann nicht das Gegenteil behaupten, nämlich daß das Kuvert eben deswegen auf dem Fußboden lag, weil der Hausherr selbst vorher das Geld herausgenommen hatte und somit nun keines mehr darin war? ›Ja, aber wo ist das Geld geblieben, wenn es Fjodor Pawlowitsch selbst aus dem Kuvert herausgenommen hat? In seinem Haus ist es bei der Haussuchung nicht gefunden worden‹ Erstens hat man in seiner Schatulle einen Teil des Geldes gefunden; und zweitens kann er es schon am Vormittag, sogar am Vortag herausgenommen, darüber anders verfügt, es ausgegeben, weggeschickt, seine Absicht völlig geändert haben, ohne daß er es für nötig hielt, Smerdjakow davon in Kenntnis zu setzen. Wenn aber auch nur eine Möglichkeit für so eine Annahme vorhanden ist, wie kann man dann mit solcher Hartnäckigkeit und Bestimmtheit den Angeklagten beschuldigen, er habe zum Zweck eines Raubes gemordet und der Raub habe tatsächlich stattgefunden? Auf diese Weise betreten wir ja das Gebiet des Romans. Wenn man behauptet, die und die Sache sei geraubt worden, so muß man diese Sache im Besitz des Diebes nachweisen oder zumindest unwiderlegbar beweisen, daß sie vorhanden gewesen ist. Doch hier hat sie überhaupt niemand gesehen. Unlängst betrat in Petersburg ein junger Mensch, er war erst achtzehn Jahre alt, ein gewöhnlicher Hausierer, am hellichten Tag mit einem Beil eine Wechselstube, erschlug mit besonderer Dreistigkeit den Ladeninhaber und nahm fünfzehnhundert Rubel mit. Fünf Stunden darauf wurde er verhaftet; bis auf die fünfzehn Rubel, die er schon ausgegeben hatte, wurden bei ihm die ganzen fünfzehnhundert Rubel vorgefunden. Außerdem teilte der Ladengehilfe, der nach dem Mord in den Laden zurückgekehrt war, der Polizei nicht nur die Höhe der gestohlenen Summe mit, sondern er gab auch an, aus was für Geld sie bestanden hatte, das heißt, wieviel Hundertrubelscheine dabei waren, wieviel Zehnrubelscheine, wieviel Fünfrubelscheine, wieviel Goldstücke und was für welche – und siehe da, bei dem verhafteten Mörder wurden genau solche Scheine und Münzen gefunden. Und zu alledem legte der Mörder noch ein vollständiges, offenes Geständnis ab. Das, meine Herren Geschworenen, das nenne ich einen Beweis! Denn da kenne ich das geraubte Geld, ich sehe es, ich befühle es und kann nicht sagen, es sei nicht da oder nicht dagewesen. Steht es so im vorliegenden Fall? Und dabei geht es hier um Leben und Tod, um das ganze Schicksal eines Menschen. ›Ja‹, wird man sagen, ›aber er hat doch in jener Nacht gepraßt und mit dem Geld nur so um sich geworfen! Es wurde festgestellt, daß er fünfzehnhundert Rubel gehabt haben muß – wo hatte er die denn her?‹ Gerade dadurch, daß im ganzen nur fünfzehnhundert Rubel festgestellt wurden und die andere Hälfte der Summe schlechterdings nicht aufzufinden und nachzuweisen war, gerade dadurch wird ja bewiesen, daß dieses Geld wohl ganz anderes Geld war und überhaupt nie in einem Kuvert gesteckt hat. Durch Berechnung der

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