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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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ihm herkömmlich auf diese Fragen: ›Er hat dich gezeugt, und du bist sein Blut. Darum mußt du ihn lieben.‹ Der Sohn wird unwillkürlich nachdenklich. ›Aber hat er mich etwa geliebt, als er mich zeugte?‹ fragt er in immer größerer Verwunderung. ›Hat er mich etwa um meinetwillen gezeugt? Er kannte ja weder mich noch mein Geschlecht in jenem Augenblick einer vielleicht durch Weingenuß entzündeten Leidenschaft, und er hat höchstens die Neigung zum Trinken auf mich vererbt – das sind alle seine Wohltaten. Warum soll ich ihn nur dafür lieben, daß er mich gezeugt, während des ganzen weiteren Lebens jedoch nicht geliebt hat?‹ Oh, Ihnen erscheinen diese Fragen vielleicht grob und roh; verlangen Sie aber von einem jugendlichen Geist keine unmögliche Zurückhaltung! ›Wenn man die Natur zur Tür hinausjagt, wird sie durchs Fenster wieder hereinfliegen.‹ Und vor allen Dingen wollen wir uns nicht vor dem ›Metall‹ und dem ›Schwefel‹ fürchten und wollen die Frage so entscheiden, wie es Vernunft und Menschenliebe, nicht wie es mystische Begriffe vorschreiben. Wie sollen wir sie denn nun entscheiden? Das will ich Ihnen sagen: Mag der Sohn vor seinen Vater hintreten und ihn ruhig und bedachtsam fragen: ›Vater, sag mir, warum bin ich verpflichtet, dich zu lieben? Vater, beweise mir, daß ich verpflichtet bin, dich zu lieben!‹ Und wenn dann dieser Vater imstande ist, ihm zu antworten und es ihm zu beweisen, so ist das eine richtige, normale Familie, die sich nicht auf eine veraltete mystische Anschauung stützt, sondern auf vernünftigen, bewußten, streng humanen Grundlagen ruht. Im entgegengesetzten Fall, wenn der Vater es nicht beweisen kann, ist es mit dieser Familie zu Ende! Er ist nicht der Vater des Sohnes, und der Sohn erhält die Freiheit und das Recht, seinen Vater in Zukunft für einen ihm fremden Menschen, ja für seinen Feind zu halten! Unsere Tribüne, meine Herren Geschworenen, muß eine Schule der Wahrheit und der gesunden Vernunft sein!«
    Hier wurde der Redner durch unbändiges, beinahe frenetisches Beifallklatschen unterbrochen. Natürlich applaudierte nicht der ganze Saal, aber doch etwa die Hälfte. Die Väter und die Mütter applaudierten. Von oben, wo die Damen saßen, hörte man helle Beifallsrufe. Taschentücher wurden geschwenkt. Der Präsident schwang aus Leibeskräften seine Glocke. Er war sichtlich gereizt durch das Benehmen des Publikums; doch den Saal räumen zu lassen, wie er kurz zuvor angedroht hatte, das wagte er nicht. Zu denen, die dem Redner applaudierten und Taschentücher schwenkten, gehörten nämlich auch vornehme Persönlichkeiten, die hinten auf gesonderten Stühlen saßen, alte Herren mit Ordenssternen auf dem Frack. Also begnügte sich der Präsident, als sich der Lärm gelegt hatte, mit einer abermaligen strengen Drohung, den Saal räumen zu lassen. Und Fetjukowitsch, triumphierend und erregt, setzte seine Rede fort.
    »Meine Herren Geschworenen, Sie erinnern sich an jene furchtbare Nacht, von der heute so viel gesprochen worden ist: als der Sohn den Zaun überstiegen hatte, in das Haus seines Vaters eingedrungen war und nun endlich Auge in Auge dem gegenüberstand, der sein Feind war und ihm Unrecht zugefügt hatte, ihm, seinem Erzeuger. Mit allem Nachdruck bleibe ich bei der Behauptung, daß er nicht des Geldes wegen gekommen war; die Anschuldigung wegen Raubes ist eine Torheit, wie ich schon vorhin dargelegt habe. Auch nicht um zu morden, war er bei ihm eingedrungen, o nein! Hätte er das vorsätzlich geplant gehabt, so hätte er sich zumindest vorher eine Waffe besorgt; den Messingstößel hatte er sich nur instinktiv gegriffen, ohne selber zu wissen wozu. Mag er den Vater durch das Signal getäuscht haben, mag er bei ihm eingedrungen sein – ich sagte schon, daß ich keine Sekunde an diese Fabel glaube –, aber mag es meinetwegen so gewesen sein, nehmen wir das für einen Augenblick als wahr an! Meine Herren Geschworenen, ich schwöre Ihnen bei allem, was heilig ist: Wäre das nicht sein Vater gewesen, sondern ein fremder Beleidiger, so wäre er, nachdem er durch die Zimmer gelaufen war und festgestellt hatte, daß diese Frau nicht da war, Hals über Kopf wieder weggelaufen, ohne seinem Nebenbuhler Schaden zugefügt zu haben; er hätte ihm vielleicht einen Schlag oder einen Stoß versetzt, weiter aber auch nichts, denn darauf war sein Sinn nicht gerichtet, dazu hatte er keine Zeit: Er mußte in Erfahrung bringen, wo sie war. Doch der Vater –

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