Die Brüder Karamasow
Paragraphen und Strafen herrschen – bei uns herrsche Geist und Sinn, und das Ziel sei die Rettung und Wiedergeburt der Verlorenen! Und wenn dem so ist, wenn Rußland und seine Justiz wirklich so beschaffen sind, dann steht Rußland an der Spitze, und keiner schrecke uns mit jener rasenden Troika, vor der alle Völker voll Abscheu zur Seite treten! Nicht wie eine rasende Troika, sondern wie ein majestätischer Triumphwagen wird Rußland feierlich und ruhig ans Ziel gelangen! In Ihren Händen liegt das Schicksal meines Klienten – in Ihren Händen liegt aber auch das Schicksal unserer russischen Gerechtigkeit. Sie werden sie retten. Sie werden sie verteidigen, Sie werden beweisen, daß es Männer gibt, sie zu behüten, und daß sie in guten Händen liegt!«
14. Die Bauern haben ihren Kopf für sich
So schloß Fetjukowitsch, und die Begeisterung der Zuhörer war diesmal unaufhaltsam wie ein Sturm. Die Frauen weinten, es weinten auch viele Männer, selbst zwei der vornehmen Würdenträger vergossen Tränen. Der Präsident fügte sich und zögerte sogar, seine Glocke zu schwingen. »Gegen einen solchen Enthusiasmus einzuschreiten, das wäre gleichbedeutend gewesen mit Frevel gegen ein Heiligtum!« So drückten sich später unsere Damen aus. Auch der Redner selbst war aufrichtig gerührt. Und in diesem Augenblick erhob sich noch einmal unser Ippolit Kirillowitsch, um »Entgegnungen zu machen«. Haßerfüllte Blicke richteten sich auf ihn. »Wie? Was soll das heißen? Er wagt es, danach noch etwas zu entgegnen?« flüsterten die Damen. Doch sogar wenn die Damen der ganzen Welt geflüstert hätten und an ihrer Spitze Ippolit Kirillowitschs Gattin, die Frau Staatsanwalt persönlich, auch dann wäre es nicht möglich gewesen, ihn in diesem Moment zurückzuhalten. Er war blaß und zitterte vor Erregung; die ersten Worte, die ersten Sätze, die er sprach, waren geradezu unverständlich. Er atmete nur mühsam, versprach und verwirrte sich. Allerdings hatte er sich bald wieder in der Gewalt. Aus dieser zweiten Rede des Staatsanwalts werde ich nur einige Sätze anführen.
»Uns wird der Vorwurf gemacht, wir hätten Romane erdichtet. Aber was der Verteidiger vorgebracht hat, ist das nicht die reinste Dichtung? Es fehlten nur noch die Verse. Fjodor Pawlowitsch, der auf seine Geliebte wartet, zerreißt das Kuvert und wirft es auf den Fußboden. Es wird sogar angeführt, was er bei diesem seltsamen Tun geredet hat. Ist das etwa keine Dichtung? Wo ist ein Beweis dafür, daß er das Geld herausgenommen hat? Und wer hat gehört, was er dabei sagte? Der schwachsinnige Idiot Smerdjakow verwandelt sich in einen Byronschen Helden, der sich wegen seiner illegitimen Geburt an der Gesellschaft rächt – ist das etwa keine Dichtung im Stile eines Byron? Und dann der Sohn, der zu seinem Vater eingedrungen ist und ihn ermordet hat, gleichzeitig aber auch nicht ermordet hat – das ist nun schon kein Roman und keine Dichtung mehr, das ist eine Sphinx, die Rätsel aufgibt, Rätsel freilich, die sie selbst natürlich auch nicht löst. Wenn er gemordet hat, so hat er gemordet. Doch was heißt das: Wenn er auch gemordet hat, so hat er auch wieder nicht gemordet? Wer soll das verstehen? Ferner wird uns verkündet, unsere Tribüne sei eine Tribüne der Wahrheit und der gesunden Vernunft, und plötzlich ertönt von dieser ›Tribüne der gesunden Vernunft‹, von einem Schwur begleitet, der Grundsatz, es sei eine veraltete Anschauung, die Ermordung eines Vaters Vatermord zu nennen! Wenn der Vatermord eine veraltete Anschauung ist und wenn jedes Kind seinen Vater fragen soll: ›Vater, warum bin ich verpflichtet, dich zu lieben?‹, was soll dann aus uns werden, was aus den Grundlagen der Gesellschaft, aus der Familie? Vatermord, sehen Sie, das ist also nur so etwas wie der ›Schwefel‹ jener Ostrowskischen Kaufmannsfrau. Die teuersten, heiligsten Satzungen für die Bestimmung und die zukünftige Entwicklung der russischen Justiz werden in leichtfertig entstellter Art vorgeführt, nur um das Ziel zu erreichen, nämlich eine Rechtfertigung dessen, was sich nicht rechtfertigen läßt. ›Oh, erdrücken Sie ihn mit Ihrem Mitleid!‹ ruft der Verteidiger aus. Weiter will ja der Verbrecher auch gar nichts! Gleich morgen würde man sehen können, wie erdrückt er ist! Ist der Verteidiger auch nicht zu bescheiden, wenn er nur den Freispruch des Angeklagten verlangt? Warum verlangt er nicht die Stiftung eines Stipendiums auf den Namen des Vatermörders,
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