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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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vorhin ausfragen sollen‹, dachte er ärgerlich. ›Dann wüßte ich jetzt alles.‹ Und auf einmal wuchs in ihm ein so ungeduldiges, hartnäckiges Verlangen, mit ihr zu reden und sich bei ihr zu erkundigen, daß er auf halbem Weg zum Haus von Frau Morosowa abbog, wo Gruschenka wohnte. Er klopfte ans Tor, der laute Schall, der durch die Stille der Nacht hallte, schien ihn jedoch jäh zu ernüchtern und zu ärgern. ›Auch hier werde ich einen Skandal anrichten!‹ dachte er, peinlich berührt, doch statt nun endgültig zu gehen, begann er auf einmal, abermals zu klopfen, und zwar aus Leibeskräften. Der Lärm schallte durch die ganze Straße. »Wollen mal sehen, ob ich sie nicht doch wachklopfe!« murmelte er. Mit jedem Schlag wurde er wütender, steigerte aber zugleich die Wucht seiner Schläge.

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6.
Ich komme selbst!
     
    Dmitri Fjodorowitsch flog inzwischen die Landstraße dahin. Bis Mokroje waren es etwas über zwanzig Werst, doch Andrej jagte sein Dreigespann dermaßen, daß sie in fünf viertel Stunden am Ziel sein konnten. Die schnelle Fahrt schien auf Mitja erfrischend zu wirken. Die Luft war rein und ziemlich kalt, an dem klaren Himmel glänzten große Sterne. Es war dieselbe Nacht und vielleicht sogar dieselbe Stunde, da Aljoscha auf die Erde niedersank und in Verzückung schwor, sie sein Leben lang zu lieben. Aber es sah wirr, sehr wirr in Mitja aus, und obgleich vieles seine Seele quälte, strebte in diesem Moment doch sein ganzes Wesen unwiderstehlich nur zu ihr, seiner Königin, zu der er hineilte, um sie zum letztenmal zu sehen. Ich will nur das eine sagen: Sein Herz sträubte sich gegen diese Entscheidung auch nicht einen Augenblick. Man wird mir vielleicht nicht glauben, wenn ich behaupte, daß dieser von Natur aus eifersüchtige Mensch gegenüber diesem neuen Nebenbuhler, diesem Offizier, nicht die geringste Eifersucht empfand. Auf jeden anderen wäre er sofort eifersüchtig gewesen und hätte vielleicht seine Hände erneut mit Blut befleckt; doch ihm, »ihrem Früheren« gegenüber, empfand er jetzt, während er auf seiner Troika dahinflog, keinerlei Eifersucht, nicht einmal ein feindliches Gefühl – allerdings hatte er ihn noch nicht gesehen. ›Da kann es keinen Zweifel geben: sie sind im Recht. Das ist ihre erste Liebe, die sie in den ganzen fünf Jahren nicht vergessen hat, also hat sie in diesen fünf Jahren nur ihn geliebt. Ich aber, warum habe ich mich dazwischengedrängt? Was spiele ich dabei für eine Rolle? Was habe ich damit zu schaffen? Tritt beiseite, Mitja, gib den Weg frei! Und was will ich jetzt überhaupt noch? Jetzt ist auch ohne den Offizier alles zu Ende! Auch wenn er gar nicht erschienen wäre, würde alles zu Ende sein ...‹
    Etwa mit diesen Worten hätte er seine Gefühle ausdrücken können, wenn er überhaupt einer Überlegung fähig gewesen wäre. Aber er war damals nicht mehr imstande zu überlegen. Sein jetziger Entschluß war ohne jedes Überlegen in einem Nu entstanden, war ihm schon bei Fenja, bei ihren ersten Worten, vom Gefühl eingegeben und in seinem ganzen Umfang, mit allen Folgen von ihm akzeptiert worden.
    Und trotzdem, obwohl er seinen Entschluß gefaßt hatte, sah es wirr in seiner Seele aus, so wirr, daß er schwer darunter litt: Auch der Entschluß hatte ihm nicht zur Ruhe verholfen. Gar zu vieles lag hinter ihm und quälte ihn. Und in manchen Augenblicken kam ihm seltsam vor: Er hatte ja eigenhändig sein Urteil auf ein Blatt Papier geschrieben: »Ich richte mich«, und dieses Papier steckte fix und fertig in seiner Tasche, und die Pistole war schon geladen, und er hatte schon beschlossen, wie er am nächsten Tag den ersten feurigen Strahl des »goldlockigen Phöbus« begrüßen wollte – und dennoch konnte er sich mit der Vergangenheit, mit allem, was hinter ihm lag und ihn quälte, nicht abfinden! Das fühlte er wie eine Marter, dieser Gedanke haftete fest in seiner Seele und brachte ihn zur Verzweiflung. Es gab auf dieser Fahrt einen Augenblick, wo er auf einmal Lust bekam, Andrej halten zu lassen, aus dem Wagen zu springen, seine geladene Pistole hervorzuholen und alles zu beenden, ohne erst auf den Tagesanbruch zu warten. Aber dieser Augenblick flog vorüber wie ein Funke. Und auch die Troika flog dahin, und je näher er dem Ziel kam, desto stärker nahm wieder der Gedanke an sie, an sie allein, ihm den Atem und verjagte alle übrigen furchtbaren Gespenster aus seinem Herzen. Oh, sehen wollte er sie, wenn auch nur flüchtig, wenn auch nur von

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