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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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zwei Gäste waren oder auch nur einer: ohne Gäste setzte er sich nie zu Tisch. Auch größere Diners veranstaltete er, manchmal mit recht überraschenden Begründungen. Es gab dabei zwar nicht unmäßig, aber reichlich zu essen, unter anderem vorzüglich zubereitete Fischpasteten; der Wein zeichnete sich, wenn auch nicht durch Qualität, so doch durch Quantität aus. Im Eingangszimmer stand ein Billard in entsprechender Umgebung, das heißt, an den Wänden hingen sogar Abbildungen englischer Rennpferde in schwarzen Rahmen, die bekanntlich bei einem Junggesellen oder Witwer den unumgänglich notwendigen Schmuck jedes Billardzimmers bilden. Allabendlich wurde bei ihm Karten gespielt, wenn auch nur an einem Tisch. Sehr häufig versammelte sich aber auch die ganze bessere Gesellschaft unserer Stadt mit den Mamas und den jungen Mädchen bei ihm, um zu tanzen. Obwohl Michail Makarowitsch Witwer war, führte er doch ein Familienleben; mit ihm wohnten seine ebenfalls schon verwitwete Tochter und ihre beiden erwachsenen Töchter, seine Enkelinnen. Diese beiden jungen Mädchen hatten ihre Ausbildung schon abgeschlossen; ihre äußere Erscheinung war zwar wenig reizvoll, aber sie besaßen ein heiteres Gemüt, und obgleich jeder wußte, daß sie keine Mitgift zu erwarten hatten, zogen sie doch unsere ganze junge Lebewelt in das Haus ihres Großvaters. In beruflicher Hinsicht war es mit Michail Makarowitsch nicht weit her; jedoch erfüllte er seine Pflicht nicht schlechter als viele andere. Geradeheraus gesagt, er war ein ziemlich ungebildeter Mensch und gab sich keine sonderliche Mühe, die Grenzen seiner administrativen Gewalt klar zu erkennen. Manche Reformen der neuzeitlichen Regierung hätte er zwar durchaus begreifen können, doch er legte sie falsch aus, mitunter sogar sehr falsch, und zwar nicht infolge einer besonderen Unfähigkeit, sondern einfach aus Sorglosigkeit des Charakters; er nahm sich nie die Zeit, sich in etwas zu vertiefen. »Ich bin meinem ganzen Wesen nach mehr Militär als Zivilist, meine Herren«, pflegte er selbst von sich zu sagen. Sogar über die Bauernreform schien er noch immer nicht zu klaren Vorstellungen gelangt zu sein; er lernte auf diesem Gebiet sozusagen in jedem Jahr ein bißchen hinzu, indem er seine Kenntnisse unwillkürlich durch die Praxis vermehrte – und dabei war er selber Gutsbesitzer. Pjotr Iljitsch wußte genau, daß er an diesem Abend bei Michail Makarowitsch auf jeden Fall Besuch vorfinden würde; nur wußte er nicht, wen. Nun saßen dort beim Whist 61 ausgerechnet der Staatsanwalt und unser Kreisarzt Warwinski, ein junger Mann, der eben erst aus Petersburg gekommen war, nachdem er dort die medizinische Akademie mit glänzendem Erfolg absolviert hatte. Der Staatsanwalt Ippolit Kirillowitsch, der eigentlich nur Gehilfe des Staatsanwalts war, bei uns aber allgemein »Staatsanwalt« genannt wurde, war ein eigenartiger Mensch, noch nicht alt, erst um die fünfunddreißig Jahre, doch bereits stark zur Schwindsucht neigend, verheiratet mit einer sehr korpulenten Dame, kinderlos, ehrgeizig und reizbar, jedoch begabt mit solidem Verstand, ja sogar gutmütig. Verhängnisvoll wurde ihm offenbar nur eine bestimmte Charaktereigenschaft: Er dachte von sich besser, als seine wirklichen Anlagen ihm erlaubten. Und das war auch der Grund, weshalb er sich ständig in Unruhe befand. Außerdem erhob er gewisse höhere Ansprüche, auch auf künstlerisch-wissenschaftlichem Gebiet; so hielt er sich zum Beispiel für einen Psychologen, für einen besonderen Kenner der menschlichen Seele, und glaubte, er besitze die hervorragende Gabe, einen Verbrecher und sein Verbrechen zu erkennen und zu verstehen. In dieser Hinsicht fühlte er sich dienstlich etwas zurückgesetzt und übergangen und war der Überzeugung, daß man ihn »dort oben« nicht zu schätzen wisse und daß er seine Feinde habe. In Augenblicken des Unmuts drohte er sogar damit, Verteidiger in Kriminalprozessen zu werden. Der unerwartete Karamasowsche Vatermordprozeß rüttelte ihn aus seiner Verstimmung auf; er sagte sich: ›Das ist ein Prozeß, der in ganz Rußland bekannt werden kann...‹ Doch damit greife ich bereits vor.
    Im Nebenzimmer, bei den jungen Damen, saß unser junger Untersuchungsrichter Nikolai Parfjonowitsch Neljudow, der erst vor zwei Monaten aus Petersburg zu uns gekommen war. Später hat man bei uns darüber geredet und sich darüber gewundert, daß alle diese Personen am Abend des Verbrechens wie auf Verabredung im Haus

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