Die Brueder Karamasow
mal, Todesstrafe gibt es ja wohl bei uns nicht? Aber kommen Sie unter allen Umständen, selbst um drei Uhr in der Nacht, selbst um vier, ja um halb fünf ... Sagen Sie nur, man soll mich wecken. Sogar mit Püffen und Stößen, wenn ich nicht aufstehen will ... O Gott, ich werde ja gar nicht einschlafen können ... Wissen Sie, soll ich nicht lieber gleich mit Ihnen fahren?«
»N-nein, aber wenn Sie mir für alle Fälle eigenhändig ein paar Zeilen aufschreiben würden, in denen Sie bestätigen, daß Sie Dmitri Fjodorowitsch kein Geld gegeben haben? Das wäre vielleicht ganz angebracht, nur so für alle Fälle ...«
»Unbedingt!« rief Frau Chochlakowa begeistert und eilte zu ihrem Schreibtisch. »Wissen Sie, Sie imponieren mir, Sie setzen mich einfach in Erstaunen durch Ihre Umsicht und Ihren Scharfsinn auf diesem Gebiet ... Sie sind hier angestellt? Wie angenehm ist es mir zu hören, daß Sie hier angestellt sind ...« Und noch während sie das sagte, warf sie schnell in großer Schrift die folgenden Zeilen auf einen halben Bogen Briefpapier:
»Niemals in meinem Leben habe ich dem unglücklichen Dmitri Fjodorowitsch Karamasow heute dreitausend Rubel geliehen, und auch kein anderes Geld, niemals, niemals! Das beschwöre ich bei allem, was es auf unserer Welt Heiliges gibt. Chochlakowa.«
»Da ist die Bescheinigung!« sagte sie. »Gehen Sie, retten Sie! Das wäre eine bewundernswerte Großtat von Ihrer Seite!« Sie machte dreimal das Zeichen des Kreuzes über ihn. Sie lief sogar mit hinaus bis ins Vorzimmer, um ihn zu verabschieden. »Wie dankbar ich Ihnen bin! Sie glauben gar nicht, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, daß Sie sich zu mir begeben haben, zuerst zu mir. Wie kommt es nur, daß ich Ihnen bisher noch nicht begegnet bin? Es wäre mir eine große Freude, Sie auch künftig in meinem Haus zu empfangen. Und wie angenehm ist es zu hören, daß Sie hier angestellt sind ... Ein Mann von solcher Akkuratesse, von solchem Scharfsinn ... Ihre vorgesetzte Behörde muß Sie einfach schätzen, muß schließlich Verständnis für Sie gewinnen! Und alles, was ich für Sie tun kann, davon seien Sie überzeugt ... Oh, ich liebe die Jugend so sehr! Ich bin in die Jugend verliebt. Die jungen Leute sind das Fundament unseres so schwer leidenden russischen Vaterlandes, seine ganze Hoffnung ... Oh, gehen Sie, gehen Sie ...«
Aber Pjotr Iljitsch lief schon hinaus, sonst hätte sie ihn womöglich noch nicht fortgelassen. Übrigens hatte Frau Chochlakowa auf ihn einen recht sympathischen Eindruck gemacht, wodurch sein Ärger, daß er in so eine widerwärtige Angelegenheit verwickelt worden war, einigermaßen gemildert wurde .... ›Und sie ist noch gar nicht so alt‹, dachte er angenehm berührt. ›Im Gegenteil, ich hätte sie für ihre Tochter gehalten ...‹
Frau Chochlakowa ihrerseits war von dem jungen Mann einfach bezaubert. »So viel Verstand, so viel Korrektheit, und das bei einem jungen Menschen in unserer Zeit, und dazu solche Manieren und dieses Aussehen! Da heißt es nun von den modernen jungen Leuten, sie könnten nichts – da haben die Meckerer endlich einmal ein Beispiel«, na und so weiter und so fort. So kam es denn, daß sie »dieses schreckliche Ereignis« einfach vergaß; und erst als sie sich zu Bett legte, fiel ihr auf einmal wieder ein, »wie nahe sie dem Tod gewesen war«, und sie sagte laut: »Ach, schrecklich! schrecklich!« Doch dann versank sie sofort in einen festen, süßen Schlaf. Ich würde übrigens von solchen nebensächlichen Einzelheiten hier nicht so ausführlich reden, hätte nicht diese eigenartige Begegnung des korrekten jungen Beamten mit der durchaus noch nicht alten Witwe später die Basis für seine weitere Karriere abgegeben; man erinnert sich in unserem Städtchen noch heute mit Erstaunen daran, und auch wir werden vielleicht noch ein besonderes Wörtchen darüber sagen, sobald unsere lange Erzählung von den Brüdern Karamasow zu Ende geführt ist.
2.
Alarm
Unser Bezirkshauptmann Michail Makarowitsch Makarow, ein Oberstleutnant a. D., der bei seinem Übertritt in die Polizeiverwaltung den Titel eines Hofrats bekommen hatte, war Witwer und ein braver Mensch. Zu uns gekommen war er erst vor drei Jahren, doch hatte er sich bereits die allgemeine Sympathie erworben, besonders dadurch, daß er es verstand, »die Gesellschaft zusammenzuhalten«. Er war nie ohne Gäste, und er schien ohne sie auch nicht leben zu können. Täglich speiste jemand bei ihm zu Mittag, wenn es auch nur
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