Die Brueder Karamasow
vielleicht der einzige, der das begriff. Der Stabskapitän schien sich förmlich in einen kleinen Jungen verwandelt zu haben.
»Shutschka! Also das ist Shutschka!« schrie er ganz selig. »Iljuschetschka, das ist Shutschka, dein Shutschka! Mamachen, das ist Shutschka!«
Er fing beinahe zu weinen an.
»Und ich bin nicht darauf gekommen!« rief Smurow betrübt. »Nein, dieser Krassotkin! Ich habe es gleich gesagt, daß er Shutschka findet – und er hat ihn auch wirklich gefunden!«
»Er hat ihn wirklich gefunden!« wiederholte einer der Jungen fröhlich.
»Ein Prachtkerl, der Krassotkin!« rief ein dritter.
»Ein Prachtkerl, ein Prachtkerl! »riefen alle und klatschten Beifall.
»Wartet mal, wartet mal!« bemühte sich Krassotkin alle zu überschreien. »Ich will euch erzählen, wie es zugegangen ist – nur darin liegt ja der Witz, wie es zugegangen ist! Also als ich ihn gefunden hatte, schleppte ich ihn zu mir nach Hause, versteckte ihn hinter Schloß und Riegel und zeigte ihn bis zum letzten Tag niemandem. Nur Smurow erfuhr vor zwei Wochen von ihm; aber ich redete ihm ein, es sei Pereswon, und er erriet die Wahrheit nicht. Und in der Zwischenzeit hatte ich dem Hund allerlei Kunststücke beigebracht, seht nur, was er alles kann! Meine Absicht war, Alter, ihn dir wohldressiert und gut genährt zu bringen und zu sagen: ›Sieh mal, Alter, wie sich dein Shutschka jetzt macht!‹ Habt ihr hier nicht ein Stückchen Fleisch? Dann wird er euch gleich ein Kunststück vormachen, daß ihr vor Lachen umfallt ... Ein Stückchen Fleisch! Na, ist denn keins da?«
Der Stabskapitän lief eilfertig über den Flur in die Stube der Wirtsleute, wo auch für seine Familie das Essen gekocht wurde. Kolja aber rief, um keine kostbare Zeit zu verlieren, inzwischen dem Hund in aller Eile zu: »Stirb!« Und dieser drehte sich plötzlich um, legte sich auf den Rücken und lag wie tot da, alle vier Pfoten nach oben. Die Jungen lachten; Iljuscha sah mit seinem schmerzlichen Lächeln zu, und am meisten amüsierte sich »Mamachen«, daß Pereswon gestorben war. Sie lachte laut und rief: »Pereswon, Pereswon!«
»Um keinen Preis wird er aufstehen, um keinen Preis!« rief Kolja triumphierend. »Die ganze Welt könnte ihn rufen! Nur wenn ich ihn rufe, springt er auf! Ici, Pereswon!«
Der Hund sprang auf und vollführte, vor Freude winselnd, die tollsten Sprünge. Der Stabskapitän kam mit einem Stück Fleisch herein.
»Ist es auch nicht zu heiß?« fragte Kolja, als er den gekochten Bissen in Empfang nahm. »Nein, es ist nicht zu heiß. Die Hunde mögen nämlich nichts Heißes. Jetzt seht alle her! Iljuschetschka, so sieh doch her, sieh her, Alter! Warum siehst du denn nicht her? Nun habe ich ihm den Hund mitgebracht, und er sieht nicht her!«
Das neue Kunststück bestand darin, daß dem Hund das appetitliche Stückchen Fleisch auf die Nase gelegt wurde. Der unglückliche Köter mußte so lange bewegungslos mit dem Bissen auf der Nase dastehen, wie sein Herr befahl; er durfte sich nicht rühren, selbst wenn es eine halbe Stunde dauerte. Aber Pereswon brauchte diesmal nur eine knappe Minute auszuhalten.
»Faß!« rief Kolja, und sofort flog der Bissen von der Nase in Pereswons Schnauze.
Das Publikum drückte selbstverständlich sein begeistertes Staunen aus.
»Und Sie sind wirklich die ganze Zeit nicht hergekommen, nur um den Hund abzurichten?« rief Aljoscha mit unwillkürlichem Vorwurf.
»Genau deswegen!« rief Kolja harmlos. »Ich wollte ihn in seinem ganzen Glanz präsentieren.«
»Pereswon! Pereswon!« lockte Iljuscha und schnipste dabei mit seinen mageren Fingern.
»Du brauchst ihn nicht erst zu locken. Er soll von selbst zu dir aufs Bett springen. Ici, Pereswon!« rief Kolja und klopfte mit der flachen Hand auf das Bett.
Und Pereswon flog wie ein Pfeil zu Iljuscha hinauf. Dieser umschlang hastig seinen Kopf, und Pereswon leckte ihm zum Dank die Backe. Iljuschetschka schmiegte sich an ihn, streckte sich wieder auf seinem Bett aus und verbarg sein Gesicht in dem struppigen Fell des Tieres.
»O Gott, o Gott!« rief der Stabskapitän.
Kolja setzte sich wieder zu Iljuscha aufs Bett.
»Iljuscha, ich kann dir noch ein Kunststück zeigen. Ich habe dir eine kleine Kanone mitgebracht. Erinnerst du dich, ich habe dir schon damals von ihr erzählt, und du hast gesagt: ›Ach, die möchte ich gern mal sehen!‹ Na, da habe ich sie eben mitgebracht!«
Und Kolja holte die kleine Bronzekanone aus seiner Büchertasche. Er beeilte sich,
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