Die Brueder Karamasow
vor, lügen Sie bitte auch jetzt nicht! Ist das wahr? Machen Sie sich auch nicht über mich lustig?«
»Es ist wahr.«
Lisa war ganz ergriffen und schwieg lange.
»Aljoscha, besuchen Sie mich! Besuchen Sie mich oft!« sagte sie auf einmal flehend.
»Ich werde immer zu Ihnen kommen, mein ganzes Leben lang!« antwortete Aljoscha mit Festigkeit.
»Ich sage das alles nur Ihnen«, begann Lisa von neuem! »Ich sage es nur mir selbst und dann noch Ihnen, Ihnen allein in der ganzen Welt. Und ich sage es lieber Ihnen als mir selbst. Ich schäme mich gar nicht vor Ihnen, gar nicht. Aljoscha, warum schäme ich mich gar nicht vor Ihnen? Aljoscha, ist es wahr, daß die Juden zu Ostern Kinder stehlen und schlachten?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich habe da ein Buch, darin habe ich von einer Gerichtsverhandlung irgendwo gelesen. Ein Jude hatte einem vierjährigen Jungen erst alle Finger abgeschnitten und ihn dann mit gespreizten Armen an die Wand genagelt. Vor Gericht erklärte er, der Knabe sei bald gestorben, schon nach vier Stunden. ›Bald!‹ Er sagte, das Kind hätte gestöhnt, immerzu gestöhnt, und er hätte dagestanden und sich an dem Anblick geweidet ... Das war schön!«
»Schön?«
»Ja, schön. Ich stelle mir manchmal vor, daß ich selbst den Knaben angenagelt habe. Er hängt da und stöhnt, und ich sitze ihm gegenüber und esse Ananaskompott ... Ich esse nämlich Ananaskompott sehr gern. Sie auch?«
Aljoscha schwieg und blickte sie an. Ihr gelbliches Gesicht verzerrte sich plötzlich, die Augen glühten auf.
»Wissen Sie, als ich das von den Juden gelesen hatte, habe ich die ganze Nacht so geweint, daß mein ganzer Körper zitterte. Ich stellte mir vor, wie das Kind geschrien und gestöhnt haben mag, so ein vierjähriges Kind begreift ja schon, was man ihm antut – trotzdem konnte ich den Gedanken an das Kompott nicht loswerden. Am Morgen schickte ich einem gewissen Menschen einen Brief und bat ihn, unter allen Umständen zu mir zu kommen. Er kam, und ich erzählte ihm sogleich von dem Jungen und dem Kompott, alles erzählte ich ihm, alles, auch, daß das schön sei. Er lachte und sagte, das sei in der Tat schön. Dann stand er auf und ging. Er hatte nur fünf Minuten bei mir gesessen. Ob er mich verachtet, wie? Sagen Sie mir, Aljoscha, sagen Sie mir! Hat er mich verachtet oder nicht?« Sie richtete sich auf dem Rollstuhl auf, ihre Augen funkelten.
»Sagen Sie«, erwiderte Aljoscha erregt! »Haben Sie ihn selbst rufen lassen, diesen Menschen?«
»Ja.«
»Haben Sie ihm einen Brief geschrieben?«
»Ja.«
»Speziell, um ihn wegen des Kindes zu fragen?«
»Nein, nicht deswegen, durchaus nicht. Aber als er eintrat, fragte ich ihn gleich danach. Er antwortete, lachte, stand auf und ging.«
»Dieser Mensch hat sich ehrenhaft Ihnen gegenüber benommen«, sagte Aljoscha leise.
»Und hat er mich verachtet? Hat er sich über mich lustig gemacht?«
»Nein, denn er glaubt vielleicht selbst an das Ananaskompott. Auch er ist jetzt sehr krank, Lisa.«
»Ja, er glaubt daran!« rief Lisa mit funkelnden Augen.
»Er verachtet niemanden«, fuhr Aljoscha fort! »Er traut nur niemandem. Wenn er aber nicht traut, so verachtet er natürlich.«
»Also auch mich?«
»Auch Sie.«
»Das ist schön«, sagte Lisa und schien dabei mit den Zähnen zu knirschen! »Als er so gelacht hatte und gegangen war, fühlte ich, daß es schön ist, verachtet zu werden. Der Junge mit den abgeschnittenen Fingern ist etwas Schönes und verachtet werden ist auch etwas Schönes ...«
Sie lachte boshaft und erregt Aljoscha ins Gesicht.
»Wissen Sie, Aljoscha, ich möchte ... Aljoscha, retten Sie mich!« rief sie, sprang plötzlich von ihrem Rollstuhl auf, stürzte zu ihm und umschlang ihn fest mit den Armen. Retten Sie mich!« stöhnte sie! »Niemandem in der Welt sage ich das, was ich Ihnen gesagt habe! Ich habe die Wahrheit gesagt, die Wahrheit! Ich werde mich töten, mich ekelt alles an! Ich will nicht weiterleben, denn mich ekelt alles an. Alles, alles! Aljoscha, warum lieben Sie mich so ganz und gar nicht?« schloß sie verzweifelt.
»Doch, ich liebe Sie!« erwiderte Aljoscha feurig.
»Und werden Sie über mich weinen, ja?«
»Ja, das werde ich.«
»Nicht deswegen, weil ich nicht Ihre Frau werden wollte, sondern ganz einfach, werden Sie mich ganz einfach beweinen?«
»Ja, das werde ich.«
»Ich danke Ihnen. Weiter verlange ich nichts. Sollen alle übrigen mich verurteilen und mit Füßen treten, alle, niemand ausgenommen! Denn ich
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