Die Brueder Karamasow
in Reuetränen zerfließend, ›ca lui fait tant de plaisir et à moi si peu de peine 69 ! Na, stelle dir mal diese Antwort vor! Als ich das hörte, nahm ich einfach Abstand von ihr. Das war ein echter Schrei der Natur, das war, könnte man sagen, besser als die Unschuld selbst! Ich erließ ihr auf der Stelle die Sünde und wollte schon gehen, sah mich jedoch genötigt, wieder umzukehren. Ich hörte, wie der Pater durch die Öffnung hindurch sie auf den Abend zu einem Rendezvous bestellte! Ein alter Mann, ein Kieselstein – und war in einem Augenblick gefallen: Das Recht der Natur hatte gesiegt! Nun? Rümpfst du wieder die Nase, ärgerst du dich wieder? Ich weiß schon nicht mehr, wie ich es dir recht machen kann ...«
»Laß mich in Ruhe! Du hämmerst in meinem Gehirn wie ein schwerer Traum, der sich nicht abschütteln läßt«, stöhnte Iwan, gequält von dem Bewußtsein, daß er seiner Vision gegenüber machtlos war! »Du langweilst und quälst mich, du bist mir unerträglich! Ich würde viel darum geben, wenn ich dich wegjagen könnte!«
»Ich wiederhole, mäßige deine Ansprüche! Verlange von mir nicht ›alles Große und Schöne‹, und du wirst sehen, wie freundschaftlich wir uns miteinander einleben werden«, sagte der Besucher nachdrücklich! »In Wahrheit ärgerst du dich nur deshalb, weil ich nicht in rotem Licht, unter Donner und Blitz und mit versengten Flügeln erschienen bin, sondern in so bescheidener Gestalt. Du fühlst dich gekränkt, erstens in deinen ästhetischen Empfindungen und zweitens in deinem Stolz. ›Wie konnte nur zu so einem bedeutenden Mann so ein gemeiner Teufel kommen?‹ denkst du. Nein, auch du hast diese romantische Ader, über die schon Belinski so gespottet hat. Was ist da zu machen, junger Mann? Vorhin, als ich mich auf den Weg zu dir machte, eigentlich hatte ich die Absicht, mich zum Scherz in der Gestalt eines Wirklichen Staatsrates a. D. zu präsentieren, der im Kaukasus angestellt war und den Stern des persischen Löwen- und Sonnenordens auf dem Frack hat, aber ich fürchtete mich geradezu, es zu tun – du hättest mich dafür höchstens verprügelt, daß ich mich erdreistete, nur den Löwen- und Sonnenorden an den Frack zu hängen und nicht wenigstens den Polarstern oder den Sirius ... Und immerzu sagst du, ich sei dumm. Doch ich erhebe ja auch gar keinen Anspruch darauf, dir an Verstand gleichzukommen. Als Mephistopheles zu Faust kam, da erklärte er von sich, er wolle das Böse, schaffe aber nur das Gute. Nun, mag das sein, wie es ihm beliebt – bei mir ist das genaue Gegenteil der Fall. Ich bin vielleicht der einzige Mensch in der ganzen Natur, der die Wahrheit liebt und aufrichtig das Gute wünscht. Ich war zugegen, als das am Kreuz gestorbene Wort zum Himmel emporstieg und die Seele des zu seiner Rechten gekreuzigten Schächers an seiner Brust hielt; ich hörte das freudige Jauchzen der Hosianna singenden Cherubim und den donnernden Jubelruf der Seraphim 70 , von dem der Himmel und das ganze Weltgebäude erzitterte. Und ich schwöre bei allem, was heilig ist, ich wollte schon in den Chor einstimmen und mit allen Hosianna rufen. Schon stieg der Ruf aus meiner Brust und wollte sich von meinen Lippen losreißen ... Ich bin ja, wie du weißt, sehr empfindsam und für künstlerische Dinge sehr empfänglich. Doch die gesunde Vernunft, diese unglücklichste Eigenschaft meines Wesens, hielt mich auch damals in den gebührenden Schranken, und ich ließ den Augenblick vorübergehen! ›Denn was wäre die Folge meines Hosianna?‹ dachte ich in diesem Moment. Sofort würde alles in der Welt erlöschen, und keine Ereignisse würden mehr eintreten ... Und so sah ich mich einzig und allein wegen meiner Amtspflicht und meiner sozialen Stellung genötigt, die gute Regung des Augenblicks in mir zu unterdrücken und bei den Gemeinheiten zu bleiben. Die Ehre, Gutes zu tun, nimmt ein anderer total für sich in Anspruch, und als mein Anteil bleiben nur die Gemeinheiten. Aber ich beneide ihn nicht um die Ehre, auf anderer Leute Kosten zu leben, ich bin nicht ehrgeizig. Warum bin von allen Wesen auf der Welt nur ich allein dazu verurteilt, von allen anständigen Leuten verflucht und sogar mit Fußtritten bedacht zu werden? Denn wenn ich mich verkörpere, muß ich manchmal auch solche Konsequenzen mit in Kauf nehmen. Ich weiß wohl, daß ein Geheimnis dahintersteckt, doch dieses Geheimnis will man mir um keinen Preis enthüllen; ich könnte nämlich, wenn ich gemerkt hätte, um was es
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