Die Brueder Karamasow
gekommen mit der Nachricht, daß Smerdjakow sich das Leben genommen habe! »Ich ging zu ihm hinein, den Samowar holen, da hing er an der Wand an einem Nagel,« Auf Aljoschas Frage, ob sie das schon an der entsprechenden Stelle angezeigt habe, hatte sie geantwortet, sie habe es nicht angezeigt! »Ich bin gleich zu Ihnen gestürzt und den ganzen Weg gerannt!« Aljoscha berichtete, sie sei wie irrsinnig gewesen und habe am ganzen Körper gezittert. Als er mit ihr zusammen zu ihrem Häuschen gelaufen war, hatte er Smerdjakow noch immer hängend gefunden. Auf dem Tisch lag ein Zettel: »Ich vernichte mein Leben nach meinem eigenen Wunsch und Willen, um niemand zu beschuldigen,« Aljoscha hatte den Zettel auf dem Tisch liegengelassen, war direkt zum Bezirkshauptmann gegangen und hatte ihm Anzeige erstattet! »Und von dort bin ich geradewegs zu dir gekommen«, schloß Aljoscha und sah seinen Bruder unverwandt an. Auch die ganze Zeit, während er erzählte, hatte er die Augen nicht von ihm abgewandt, als ob ihm etwas an Iwans Gesicht stark auffiel.
»Bruder«, rief er plötzlich, »du bist sicher sehr krank! Du siehst mich an und scheinst nicht zu verstehen, was ich sage.«
»Das ist gut, daß du gekommen bist«, sagte Iwan gedankenverloren, als hätte er Aljoschas Ausruf gar nicht gehört! »Ich habe es gewußt, daß er sich erhängt hat.«
»Von wem denn?«
»Ich weiß nicht, von wem. Aber ich habe es gewußt. Habe ich es gewußt? Ja, er hat es mir gesagt. Er hat es mir soeben schon gesagt ...«
Iwan stand mitten im Zimmer und sprach noch immer genauso in Gedanken versunken, den Blick gesenkt.
»Wer ist das – er?« fragte Aljoscha und schaute sich unwillkürlich um.
»Er hat sich davongemacht.«
Iwan hob den Kopf und lächelte leise.
»Er hat vor dir Angst bekommen, vor dir, du Taube. Du bist ein ›reiner Cherub‹, Dmitri nennt dich einen Cherub. Die Cherubim ... Der donnernde Jubelruf der Seraphim! Was ist das, ein Seraph? Vielleicht ein ganzes Sternbild? Aber vielleicht ist ein ganzes Sternbild nur ein chemisches Molekül ... Gibt es ein Sternbild des Löwen und der Sonne, weißt du das nicht?«
»Bruder, setz dich hin!« sagte Aljoscha erschrocken! »Um Gottes willen, setz dich aufs Sofa! Du fieberst, leg dich auf das Kissen, siehst du, so! Willst du ein nasses Handtuch auf den Kopf? Vielleicht wird dir dann besser?«
»Ja, gib mir das Handtuch! Dort auf dem Stuhl, da habe ich es vorhin hingeworfen.«
»Da ist es nicht. Aber beunruhige dich nicht, ich weiß, wo es liegt. Da ist es«, sagte Aljoscha, der in einer anderen Ecke des Zimmers auf Iwans Waschtisch ein noch sauberes, zusammengefaltetes, ungebrauchtes Handtuch gefunden hatte.
Iwan sah das Handtuch sonderbar an. Für einen Augenblick schien ihm die Besinnung zurückzukehren.
»Warte mal ...«, sagte er und stand vom Sofa auf! »Ich habe vor einer Stunde dieses Handtuch von derselben Stelle genommen und mit Wasser befeuchtet. Ich legte es mir auf den Kopf und warf es dann hin ... Wie kann es denn jetzt trocken sein? Ein anderes ist nicht dagewesen.«
»Du hattest dieses Handtuch auf dem Kopf?« fragte Aljoscha.
»Ja, und ich bin im Zimmer auf und ab gegangen, vor einer Stunde ... Wie kommt es, daß die Lichter so weit heruntergebrannt sind? Wie spät ist es?«
»Bald zwölf.«
»Nein, nein, nein!« schrie Iwan plötzlich ..! »Das war kein Traum! Er ist dagewesen, er hat hier gesessen, da, auf dem Sofa. Als du ans Fenster klopftest, hatte ich gerade mit dem Glas nach ihm geworfen ... Mit diesem Glas hier ... Warte mal, ich habe auch früher geschlafen und geträumt, aber dieser Traum war kein Traum. Es ist auch schon früher vorgekommen. Ich habe jetzt manchmal Träume, Aljoscha ... Nein, es sind ja keine Träume, ich bin wach! Ich gehe, rede und gehe ... Aber ich schlafe. Er hat hier gesessen, er ist hiergewesen. Da, auf diesem Sofa hat er gesessen ... Er ist furchtbar dumm, Aljoscha, furchtbar dumm!« Iwan lachte plötzlich auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Wer ist dumm? Von wem sprichst du, Bruder?« fragte Aljoscha wieder besorgt.
»Der Teufel. Er kommt jetzt oft zu mir. Zweimal ist er schon dagewesen, sogar fast dreimal. Er zog mich auf, ich sei verärgert darüber, daß er nur als einfacher Teufel zu mir kommt und nicht als Satan mit versengten Flügeln, unter Donner und Blitz. Aber er ist nicht der Satan, da lügt er. Er maßt sich einen fremden Namen an. Er ist ein einfacher Teufel, ein jämmerlicher, unbedeutender
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