Die Brueder Karamasow
pense, donc je suis, das weiß ich bestimmt. Alles übrige jedoch, was um mich ist, alle diese Welten, Gott und sogar der Satan selbst – von alledem ist für mich nicht bewiesen, ob es selbständig existiert oder nur eine Emanation von mir ist, eine folgerichtige Entwicklung meines urewig und persönlich existierenden Ichs ... Ich breche lieber ab, weil du wahrscheinlich gleich aufspringen wirst, um mich zu prügeln.«
»Du solltest lieber irgendeine Anekdote erzählen!« sagte Iwan gequält.
»Eine Anekdote hätte ich schon, und sogar eine, die zu unserem Thema paßt, das heißt, es ist eigentlich keine Anekdote, sondern mehr so eine Legende. Du wirfst mir Unglauben vor, wenn du sagst: ›Du siehst, und dennoch glaubst du nicht.‹ Aber, mein Freund, es geht nicht nur mir so, bei uns sind jetzt alle ganz konfus geworden, und das infolge eurer Wissenschaften. Solange es noch die Atome gab und die fünf Sinne und die vier Elemente, na, da hielt alles so leidlich zusammen. Atome gab es ja auch schon im Altertum. Doch als man bei uns erfuhr, daß ihr das ›chemische Molekül‹ entdeckt hättet und das ›Protoplasma‹ und Gott weiß was noch, da kniffen sie bei uns die Schwänze zwischen die Beine. Es begann ein wüstes Treiben, besonders Aberglaube, Klatscherei, Klatscherei gibt es ja auch bei uns, soviel wie bei euch, sogar noch ein bißchen mehr und dann noch Denunziation – bei uns gibt es ja auch eine Abteilung, wo gewisse Mitteilungen entgegengenommen werden ... Also nun diese absonderliche Legende. Sie stammt noch aus unserem Mittelalter, nicht aus eurem Mittelalter, sondern aus unserem, und selbst bei uns glaubt an sie niemand außer den siebenpudschweren Kaufmannsfrauen, das heißt wieder nicht euren, sondern unseren Kaufmannsfrauen. Alles was es bei euch gibt, gibt es auch bei uns! Ich enthülle dir damit aus Freundschaft eines unserer Geheimnisse, obwohl das verboten ist. Diese Legende handelt vom Paradies. Es war einmal, wird erzählt, bei euch hier auf Erden so ein Denker und Philosoph, der ›alles verneinte. Gesetze, Gewissen und Glauben‹, vor allem aber das zukünftige Leben. Er starb und dachte, nun ginge es geradewegs in Finsternis und Tod hinein, doch da stand vor ihm – das zukünftige Leben. Er war darüber sehr erstaunt und ungehalten. ›Das widerspricht‹, sagte er, ›meinen Überzeugungen.‹ Dafür wurde er nun auch verurteilt ... Das heißt, entschuldige bitte, ich gebe ja nur wieder, was ich gehört habe, es ist eben nur eine Legende ... Siehst du, er wurde also dazu verurteilt, in der Finsternis eine Quadrillion Kilometer zu gehen, bei uns rechnet man ja jetzt auch nach Kilometern; und wenn er mit dieser Quadrillion fertig war, sollten ihm die Pforten des Paradieses geöffnet und ihm sollte alles verziehen werden ...«
»Was gibt es denn in eurer Welt sonst noch für Qualen außer dieser Quadrillion?« unterbrach ihn Iwan mit einer seltsamen Lebhaftigkeit.
»Was es sonst für Qualen gibt? Ach, frag lieber nicht danach! Früher war es damit noch einigermaßen leidlich bestellt, aber jetzt sind immer mehr die seelischen Qualen aufgekommen, die ›Gewissensbisse‹ und all dieser Quatsch. Das ist auch so eine Neuerung von euch, eine Folge der ›Milderung eurer Sitten‹. Na, und wer hat dabei profitiert? Profitiert haben nur die Gewissenlosen, denn was hat so einer für Gewissensbisse, wenn er überhaupt kein Gewissen hat? Gelitten haben dafür die anständigen Leute, bei denen sich noch Gewissen und Ehrgefühl erhalten haben ... Ja, so ist das mit Reformen auf unvorbereiteter Grundlage, zumal wenn sie eine Kopie fremder Einrichtungen sind: Es kommt weiter nichts als Schaden dabei heraus! Wir hätten lieber das gute alte Höllenfeuer behalten sollen ... Nun, dieser zu einer Quadrillion Kilometer Verurteilte stand ein Weilchen da, blickte vor sich hin und legte sich dann quer über den Weg. ›Ich werde nicht gehen‹, sagte er; ›aus Prinzip werde ich nicht gehen!‹ Nimm die Seele eines gebildeten russischen Atheisten und mische sie mit der Seele des Propheten Jonas, der drei Tage und drei Nächte im Bauch des Walfisches schmollte – da hast du den Charakter dieses Denkers, der sich quer über den Weg gelegt hatte.«
»Worauf hatte er sich denn da gelegt?«
»Na, es wird schon etwas dagewesen sein, worauf er liegen konnte. Machst du dich auch nicht darüber lustig?«
»Ein famoser Kerl!« rief Iwan, noch immer mit derselben seltsamen Lebhaftigkeit. Er hörte jetzt mit
Weitere Kostenlose Bücher