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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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natürlicher vorzubringen, und nun war alles etwas zu hastig und kahl herausgekommen. Schuld daran war vor allem ein jugendlicher Mangel an Selbstdisziplin: Vielfach spürte man den Zorn über die Kränkung vom Vortag und das Bedürfnis, sich stolz zu zeigen; das fühlte sie selbst. Ihr Gesicht verfinsterte sich auf einmal, und der Ausdruck der Augen wurde unschön. Aljoscha bemerkte es sofort, und aufrichtiges Mitleid regte sich in seinem Herzen.
    In diesem Augenblick machte sein Bruder Iwan eine Bemerkung:
    »Ich habe nur meine Meinung geäußert«, sagte er. »Bei jeder anderen würde alles verstellt und gezwungen herauskommen, bei Ihnen ist das nicht der Fall. Eine andere hätte unrecht, Sie jedoch haben recht. Ich weiß nicht, wie ich das begründen soll, aber ich sehe, daß Sie im höchsten Grade aufrichtig sind: darum haben Sie recht ...«
    »Aber das ist doch nur in diesem Augenblick so. Was will denn dieser Augenblick besagen? Das ist nur die Folge der gestrigen Beleidigung – weiter nichts!« platzte plötzlich Frau Chochlakowa heraus. Augenscheinlich hatte sie sich nicht in das Gespräch einmischen wollen, sich aber doch nicht zurückhalten können und einen sehr richtigen Gedanken ausgesprochen.
    »Ja, ja«, fiel ihr Iwan ins Wort, der auf einmal zornig geworden war und sich offenbar darüber ärgerte, daß sie ihn unterbrochen hatte. »Bei einer anderen Frau würde dieser Augenblick nur die gestrigen Gefühle fortsetzen und wäre eben nur ein Augenblick. Bei Katerina Iwanownas Charakter jedoch erstreckt sich dieser Augenblick auf das ganze Leben. Was für andere nur ein Versprechen darstellt, ist für sie eine lebenslängliche, schwere, vielleicht traurige, aber unermüdlich erfüllte Pflicht. Und am Ende dieser Pflichterfüllung wird sie sich aufrichten! Ihr Leben, Katerina Iwanowna, wird jetzt im schmerzlichen Bewußtsein der eigenen Gefühle, der eigenen Großtat und des eigenen Leides vergehen, doch allmählich wird sich dieser Schmerz mildern, und Ihr Leben wird Ihnen das süße Bewußtsein eines ein für allemal verwirklichten stolzen Vorsatzes vermitteln, eines in seiner Art tatsächlich stolzen, gewagten, aber von Ihnen siegreich erfüllten Vorsatzes. Und dieses Bewußtsein wird Ihnen schließlich vollste Befriedigung gewähren und Sie mit allem übrigen aussöhnen ...«
    Er sagte das in entschiedenem Ton und mit einer gewissen Bosheit, die anscheinend beabsichtigt war; er schien gar nicht verbergen zu wollen, daß er absichtlich so spöttisch sprach.
    »O mein Gott, wie falsch das alles ist!« rief Frau Chochlakowa wieder.
    »Alexej Fjodorowitsch, sagen Sie denn gar nichts? Ich warte ungeduldig, was Sie mir zu sagen haben!« rief Katerina Iwanowna und brach plötzlich in Tränen aus.
    Aljoscha stand vom Sofa auf.
    »Das hat nichts zu bedeuten, das hat nichts zu bedeuten«, fuhr sie weinend fort. »Das kommt von der Aufregung und von der heutigen Nacht. Neben zwei Freunden wie Ihnen und Ihrem Bruder fühle ich mich noch stark, denn ich weiß, daß Sie mich nie verlassen.«
    »Leider muß ich vielleicht schon morgen nach Moskau fahren und Sie doch für längere Zeit verlassen. Und das läßt sich zu meinem Bedauern nicht ändern«, sagte Iwan Fjodorowitsch plötzlich.
    »Morgen nach Moskau?« rief Katerina Iwanowna, und ihr Gesicht verzog sich auf einmal. »Mein Gott, wie glücklich sich das trifft!« Ihre Stimme hatte sich augenblicklich verändert; ihre Tränen waren verschwunden, so daß auch nicht die Spur von ihnen zurückgeblieben war. In einem einzigen Augenblick ging mit ihr eine Veränderung vor, die Aljoscha sehr erstaunte. Statt des armen beleidigten Mädchens, das soeben in einem Gefühlsausbruch geweint hatte, erschien plötzlich eine Frau, die sich vollkommen in der Gewalt hatte und sogar außerordentlich zufrieden und erfreut wirkte.
    »Oh, nicht daß ich Sie verliere, trifft sich glücklich, selbstverständlich nicht!« korrigierte sie sich schnell mit dem liebenswürdigen Lächeln einer Weltdame. »Ein Freund wie Sie kann das nicht annehmen. Ich bin im Gegenteil höchst unglücklich darüber, daß ich Sie vermissen muß ...« Sie stürzte plötzlich ungestüm zu Iwan Fjodorowitsch, ergriff seine Hände und drückte sie heftig. »Nein, was sich glücklich trifft, ist der Umstand, daß Sie selbst, Sie persönlich imstande sein werden, meiner Tante und meiner Schwester Agascha meine ganze jetzige Lage und all das Entsetzliche zu schildern. Zu Agascha können Sie ganz offen sein,

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