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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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aber mein liebes Tantchen werden Sie schonen müssen, wie Sie es ja so gut verstehen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie unglücklich ich gestern und heute vormittag war, als ich mir keinen Rat wußte, wie ich diesen schrecklichen Brief an sie schreiben sollte! Denn in einem Brief läßt sich das alles unter keinen Umständen wiedergeben. Jetzt jedoch wird es mir ein leichtes sein, zu schreiben, weil Sie dort persönlich alles erklären werden. Oh, wie ich mich freue. Aber ich freue mich nur darüber; ich bitte Sie nochmals, mir das zu glauben. Sie selbst sind mir natürlich unersetzlich ... Ich werde den Brief sofort schreiben«, schloß sie plötzlich und tat bereits ein paar Schritte, um das Zimmer zu verlassen.
    »Und Aljoscha? Und die Meinung von Alexej Fjodorowitsch, die Sie unbedingt hören wollten?« rief Frau Chochlakowa, und ihre Worte klangen etwas boshaft und ärgerlich.
    »Ich habe das nicht vergessen«, erwiderte Katerina Iwanowna und blieb stehen. »Aber warum verhalten Sie sich zu mir jetzt so feindlich, Katerina Ossipowna?« fragte sie im Ton eines starken, bitteren Vorwurfs. »Was ich gesagt habe, dabei bleibe ich. Seine Meinung ist mir unentbehrlich. Ja noch mehr, ich brauche seine Entscheidung! Was er sagen wird, soll geschehen! Da sehen Sie, wie sehr ich auf Ihre Worte warte, Alexej Fjodorowitsch ... Aber was haben Sie?«
    »Das hätte ich nie gedacht. Ich kann mir das gar nicht vorstellen!« rief Aljoscha traurig.
    »Was denn, was denn?«
    »Er fährt nach Moskau, und Sie sagen, daß Sie sich freuen – und zwar sagen Sie das absichtlich! Und dann erklären Sie, daß Sie nicht darüber froh sind, im Gegenteil, es tue Ihnen leid, daß Sie einen Freund verlieren. Aber auch das haben Sie uns vorgespielt, wie auf der Bühne haben Sie Komödie gespielt!«
    »Wie auf der Bühne? Was soll das heißen?« rief Katerina Iwanowna verwundert. Sie war dunkelrot geworden und zog die Augenbrauen finster zusammen.
    »Trotz aller Versicherungen, daß Sie die Abreise eines solchen Freundes bedauern, sagen Sie ihm ins Gesicht, seine Abreise sei ein Glück für Sie ...«, sagte Aljoscha schwer atmend. Er stand am Tisch, ohne sich zu setzen.
    »Wovon reden Sie? Ich verstehe Sie nicht.«
    »Ich weiß es selbst nicht. Es ist auf einmal wie eine Erleuchtung über mich gekommen. Ich weiß, daß ich mich nicht gut ausdrücken werde, aber ich will es dennoch sagen«, fuhr Aljoscha mit zitternder, häufig versagender, Stimme fort. »Die Erleuchtung besteht darin, daß Sie meinen Bruder Dmitri vielleicht überhaupt nicht lieben, ihn von Anfang an nicht geliebt haben ... Und auch Dmitri liebt Sie vielleicht gar nicht, sondern achtet Sie nur ... Ich weiß wirklich nicht, wieso ich wage, das alles jetzt zu sagen – aber einer muß doch die Wahrheit sagen. Und da es niemand hier tun will ... »
    »Was für eine Wahrheit?« rief Katerina Iwanowna, und aus ihrer Stimme klang hysterische Erregung.
    »Ich will Ihnen sagen, was für eine«, flüsterte Aljoscha, dem zumute war, als ob er von einem Dach stürzte. »Lassen Sie sofort Dmitri kommen – ich werde ihn schon finden. Soll er kommen und Sie und meinen Bruder Iwan an der Hand fassen und Ihre Hände vereinigen. Denn Sie quälen Iwan nur, weil Sie ihn lieben ... Sie quälen ihn, weil Sie Dmitri aus Überspanntheit lieben, nicht wirklich lieben, sondern sich das nur eingeredet haben ...«
    Aljoscha stockte und verstummte.
    »Sie ... Sie sind ein kleiner frommer Narr! Ja, das sind Sie!« sagte Katerina Iwanowna in scharfem Ton. Ihr Gesicht war ganz blaß geworden, und ihre Lippen hatten sich vor Zorn verzerrt.
    Iwan Fjodorowitsch lachte plötzlich auf und erhob sich, den Hut in der Hand.
    »Du hast dich geirrt, mein guter Aljoscha«, sagte er mit einem Gesichtsausdruck, den Aljoscha noch nie an ihm bemerkt hatte, einem Ausdruck jugendlicher Aufrichtigkeit und starken, unbezwingbaren Verlangens, sich offen auszusprechen. »Niemals hat Katerina Iwanowna mich geliebt! Sie hat die ganze Zeit gewußt, daß ich sie liebe, obgleich ich ihr nie ein Wort von meiner Liebe gesagt habe. Sie hat es gewußt, aber sie liebt mich nicht. Auch ihr Freund bin ich nie gewesen, nicht einen Tag lang; die stolze Frau brauchte meine Freundschaft nicht. Sie hat mich bei sich gehalten, um sich unaufhörlich rächen zu können. Sie rächte sich an mir für alte Beleidigungen, die sie von Dmitri von ihrer ersten Begegnung an ständig und jeden Augenblick zu ertragen hatte. Denn auch die allererste

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