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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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nicht erklären können, was in diesem Augenblick mit ihm vorging. Seine Bewegungen und sein Gang wirkten überaus verkrampft.

7. Mit einem klugen Menschen ist auch ein kurzes Gespräch von Nutzen
    Und so sprach er auch. Als er gleich beim Eintritt seinem Vater im Saal begegnete, rief er ihm, heftig abwinkend, zu: »Ich gehe zu mir nach oben. Ich will nicht zu Ihnen, auf Wiedersehen!« und ging vorbei, bemüht, ihn nicht einmal anzusehen. Möglich, daß der Alte ihm in diesem Augenblick ganz besonders verhaßt war, aber so eine ungenierte Bekundung feindseligen Gefühls war auch für Fjodor Pawlowitsch etwas Unerwartetes. Der Alte hatte Iwan nur schnell etwas mitteilen wollen und war ihm zu diesem Zweck absichtlich entgegengegangen; als er jedoch diese liebenswürdigen Worte hörte, blieb er schweigend stehen und verfolgte seinen Sohn, der die Treppe zum Zwischengeschoß hinaufstieg, mit den Augen so lange, bis dieser seinen Blicken entschwunden war.
    »Was hat er denn?« fragte er Smerdjakow, der nach Iwan Fjodorowitsch eingetreten war.
    »Er ärgert sich über irgendwas, wer soll aus ihm klug werden?« murmelte dieser ausweichend.
    »Hol‹ ihn der Teufel! Soll er sich ärgern! Stell den Samowar auf und mach dann schleunigst, daß du fortkommst! Gibt es nichts Neues?«
    Und nun begannen jene Fragen, über die sich Smerdjakow eben Iwan Fjodorowitsch gegenüber beklagt hatte; wir lassen sie hier weg.
    Eine halbe Stunde danach wurde das Haus zugeschlossen, und der verdrehte alte Mann wanderte allein in den Zimmern umher, in der zitternden Erwartung, im nächsten Augenblick würden die fünf verabredeten Schläge ertönen. Von Zeit zu Zeit blickte er durch die dunklen Fenster hinaus und sah nichts als die Nacht.
    Es war schon sehr später. Iwan Fjodorowitsch schlief jedoch nicht, sein Geist fand keine Ruhe. Erst spät legte er sich diese Nacht ins Bett, gegen zwei Uhr. Wir wollen nicht den ganzen Gang seiner Gedanken wiedergeben; es ist für uns noch nicht an der Zeit, in diese Seele einzudringen. Sie wird schon noch an die Reihe kommen. Und selbst wenn wir versuchen wollten, etwas wiederzugeben: es würde sich nur schwer machen lassen, da es nicht eigentlich Gedanken waren, sondern etwas sehr Unbestimmtes, mehr eine starke Erregung.
    Er selbst kam sich völlig ratlos vor. Auch quälten ihn mancherlei sonderbare und überraschende Wünsche. So verlangte es ihn zum Beispiel nach Mitternacht plötzlich heftig, nach unten zu gehen, die Tür aufzuschließen, ins Seitengebäude zu eilen und Smerdjakow durchzuprügeln; hätte man ihn aber gefragt, weswegen, hätte er eigentlich gar keinen Grund anzugeben gewußt, außer höchstens, daß ihm dieser Diener verhaßt war wie der schlimmste Beleidiger, der auf der Welt zu finden ist. Andererseits wurde er in dieser Nacht mehrmals von einer unerklärlichen Zaghaftigkeit befallen, die ihm, das fühlte er, geradezu seine physischen Kräfte nahm. Dir Kopf tat ihm weh, und es schwindelte ihm. Ein Gefühl des Hasses beklemmte seine Seele, als hätte er vor, sich an jemand zu rächen. Er haßte sogar Aljoscha, in Erinnerung an das Gespräch, das er vor kurzem mit ihm geführt hatte. Er haßte in einzelnen Momenten auch sich selbst heftig. Katerina Iwanowna hatte er fast ganz vergessen, darüber wunderte er sich später sehr, zumal er sich lebhaft erinnerte, was er noch am letzten Vormittag empfunden hatte, als er so schwungvoll bei Katerina Iwanowna verkündete, er werde morgen nach Moskau fahren. Damals hatte er sich nämlich im stillen gesagt, ›Das ist ja alles Unsinn, du wirst nicht wegfahren. Es fällt dir nicht so leicht, dich loszureißen, wie du jetzt prahlst.‹ Wenn er später an diese Nacht zurückdachte, erinnerte sich Iwan Fjodorowitsch mit besonderem Widerwillen, wie er ein paarmal vom Sofa aufgestanden war und leise, als fürchtete er, gesehen zu werden, die Tür geöffnet und gehorcht hatte, wie Fjodor Pawlowitsch in den unteren Zimmern auf und ab ging. Er hatte lange gehorcht, jedesmal wohl fünf Minuten lang, mit einer seltsamen Neugier, mit angehaltenem Atem und Herzklopfen. Doch wozu er das alles tat, wozu er horchte, das wußte er beim besten Willen selbst nicht. Dieses Verhalten bezeichnete er in seinem ganzen späteren Leben als abscheulich; er hielt es sein Leben lang im tiefsten Innern seiner Seele für die gemeinste Handlung seines ganzen Lebens. Gegenüber Fjodor Pawlowitsch empfand er in diesen Augenblicken nicht einmal Haß, eher eine gewisse Neugier: wie

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