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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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achtzehnjährige Mädchen, ein schüchternes, unbeholfenes mageres, melancholisches Wesen, aus der Gouvernementsstadt in dieses Haus gebracht hatte, und seitdem war schon viel Wasser ins Meer geflossen.
    Den Lebenslauf dieses jungen Mädchens kannte man bei uns in der Stadt übrigens nur mangelhaft, auch in der letzten Zeit hatte man nicht mehr erfahren, obgleich sich inzwischen viele für diese »Schönheit ersten Ranges« interessierten, in die sich Agrafena Alexandrowna im Laufe der vier Jahre verwandelt hatte. Es verlautete nur gerüchtweise, sie sei schon als siebzehnjähriges Mädchen angeblich von einem Offizier verführt und dann verlassen worden. Der Offizier sei versetzt worden und habe später irgendwo geheiratet, und Gruschenka sei in Schande und Armut zurückgeblieben. Man sagte übrigens noch, Gruschenka sei zwar tatsächlich von dem alten Samsonow aus der Armut gerettet worden, stamme aber aus einer achtbaren Familie, sozusagen aus dem geistlichen Stand; ihr Vater sei Hilfsdiakonus oder so etwas Ähnliches gewesen. Jedenfalls war nun im Laufe von vier Jahren aus der ängstlichen, betrogenen Waise eine rotwangige, üppige russische Schönheit geworden, eine Frau von entschlossenem Charakter, stolz und dreist und im Umgang mit Geldsachen so geschickt, daß sie es, so wurde behauptet, auf rechtmäßige oder unrechtmäßige Weise bereits fertiggebracht hatte, sich ein eigenes kleines Kapital zusammenzusparen. In einem Punkt waren sich alle einig: Es war schwer, zu Gruschenka Zutritt zu erlangen, und außer dem Alten, ihrem Beschützer, hatte sich in den ganzen vier Jahren kein Mensch ihrer Gunst rühmen können. Und diese Gunst zu erwerben, hatten sich nicht wenige Liebhaber bemüht, besonders in den letzten zwei Jahren. Doch alle Versuche hatten sich als vergeblich erwiesen, und manche Bewerber waren infolge des energischen, spöttischen Widerstandes seitens der charakterstarken jungen Frau sogar zu einem komischen und schimpflichen Rückzug gezwungen. Man wußte auch noch, daß sie sich vor allem im letzten Jahr auf sogenannte »profitable Geschäfte« gelegt und dabei hervorragende Fähigkeiten bekundet hatte, so daß viele sie schließlich als Jüdin bezeichneten. Nicht daß sie Geld auf Zinsen ausgeliehen hätte; aber es war zum Beispiel bekannt, daß sie sich zusammen mit Fjodor Pawlowitsch Karamasow eine Zeitlang tatsächlich damit beschäftigt hatte, Wechsel zu einem geringen Preis aufzukaufen, den Rubel für zehn Kopeken, und daß sie später mit manchen dieser Wechsel für zehn Kopeken einen Rubel erhalten hatte.
    Der kranke Samsonow, dessen geschwollene Beine im letzten Jahr völlig steif geworden waren, ein Witwer, Tyrann seiner erwachsenen Söhne, Besitzer von vielen hunderttausend Rubeln, ein unerbittlicher Geizhals, war arg unter die Botmäßigkeit seines Schützlings geraten, obwohl er anfangs beabsichtigt hatte, sie kurz- und knappzuhalten, »bei Fastenöl«, wie Spottlustige sagten. Gruschenka hatte es jedoch verstanden, sich zu emanzipieren, wobei sie ihm ein grenzenloses Vertrauen zu ihrer Treue eingeflößt hatte. Dieser alte Mann, ein ausgezeichneter Geschäftsmann, besaß ebenfalls einen außerordentlich festen Charakter; vor allem war er geizig und hart wie Stein, und obgleich ihn Gruschenka so gefesselt hatte, daß er ohne sie nicht leben konnte – namentlich in den zwei letzten Jahren war das der Fall –, überwies er ihr doch kein größeres Kapital. Und selbst wenn sie gedroht hätte, völlig mit ihm zu brechen, er wäre auch dann unerbittlich geblieben. Wohl aber gab er ihr ein kleines Kapital; als das bekannt wurde, gerieten auch darüber alle in Erstaunen.
    »Du bist ein kluges Frauenzimmer«, sagte er zu ihr, als er ihr ungefähr achttausend Rubel aushändigte. »Arbeite selbst mit dem Geld. Und merke dir, daß du außer deinem Jahresunterhalt wie bisher bis zu meinem Tode weiter nichts von mir bekommen wirst! Und auch in meinem Testament werde ich dir nichts weiter vermachen!«
    Und er hielt Wort: Er starb und hinterließ alles seinen Söhnen, die er sein Leben lang in seinem Hause gehalten und mit den Dienern auf gleiche Stufe gestellt hatte, sowie deren Frauen und Kindern; Gruschenka war in dem Testament überhaupt nicht erwähnt. Alles das wurde erst später bekannt.
    Mit Ratschlägen, wie sie mit ihrem eigenen Kapital arbeiten sollte, und mit dem Nachweis diesbezüglicher Geschäfte half er Gruschenka allerdings nicht wenig. Als sich Fjodor Pawlowitsch Karamasow, der

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