Die Brüder Löwenherz
Brot und mein Feuer und mein Pferd« - etwas anderes fiel mir nicht ein. Lange saß ich so da und dachte an alle Lagerfeuer, die seit Urzeiten in der Wildnis überall auf der Welt gebrannt hatten und die nun längst erloschen waren. Aber meins brannte hier und jetzt! Um mich herum wurde es dunkel. Die Berge wurden so schwarz, oh, wie finster sie wurden und wie schnell es ging! Mir wurde unbehaglich bei all dieser Finsternis. Wie leicht konnte mich jemand überfallen. Im übrigen war es Schlafenszeit, also schürte ich das Feuer gründlich, sagte Fjalar gute Nacht und wickelte mich dicht neben dem Feuer in die Wolldecke. Ich wünschte mir nur eins: sofort einzuschlafen, noch bevor ich anfing, mich zu fürchten.
Ja, Pustekuchen! Und wie ich mich fürchtete! Ich kenne keinen, der sich so schnell fürchtet wie ich mich. Die Gedanken kreisten in meinem Kopf herum - sicherlich lauerte mir dort in der Finsternis jemand auf, sicherlich wimmelte es hier in den Bergen von Tengils Kundschaftern und Soldaten, sicherlich war Jonathan schon längst tot, all diese Gedanken rasten in meinem Kopf herum, und ich konnte nicht einschlafen. Mit einemmal ging der Mond hinter einem Berggipfel auf. Es war wohl nicht der Mond, den ich kannte, aber er sah genauso aus, und er schien, so wie ich es noch nie erlebt hatte. Aber ich hatte ja auch noch nie Mondschein im Gebirge erlebt. Alles wurde verwunschen. Man war in einer sonderbaren Welt, die nur aus Silber und schwarzen Schatten bestand. Schön war es wohl, aber zugleich auch seltsam traurig. Und unheimlich. Wo der Mond hinschien, war es zwar hell, aber in den Schatten konnten Gefahren lauern. Ich zog mir die Wolldecke über die Augen, um nichts mehr zu sehen. Doch statt dessen hörte ich jetzt etwas, ja, ich hörte etwas: ein Heulen fern in den Bergen. Und dann näher. Fjalar wieherte, er fürchtete sich. Und da begriff ich, was es war. Es war Wolfsgeheul. Wer so viel Angst hat wie ich, hätte vor Schreck beinahe sterben können, aber als ich sah, wie Fjalar sich fürchtete, versuchte ich, Mut zu fassen.
»Fjalar, Wölfe fürchten sich vor dem Feuer, weißt du das nicht?« sagte ich, glaubte aber selber nicht recht daran, und die Wölfe hatten wohl auch nie davon gehört. Denn jetzt sah ich sie, sie kamen naher, unheimliche graue Schemen, die im Mondschein heranschlichen und vor Hunger heulten. Da heulte auch ich auf. Ich schrie, als ob ich am Spieß steckte. Nie zuvor habe ich so gellend geschrien, und mein Schreien verscheuchte die Wölfe. Aber nicht für lange. Bald kamen sie wieder. Diesmal noch näher. Ihr Geheul machte Fjalar rasend vor Angst. Und mich auch. Ich wußte, jetzt mußten wir sterben, wir beide. Für mich war es ja im Grunde nichts Neues, ich war ja schon einmal gestorben. Aber damals wollte ich sterben, damals sehnte ich mich danach, und jetzt wollte ich es nicht. Jetzt wollte ich leben und bei Jonathan sein, o Jonathan, könntest du mir doch helfen! Jetzt waren sie schon ganz nahe, die Wölfe. Einer war größer als die übrigen und frecher. Er war wohl der Leitwolf. Er würde sich auf mich stürzen, das spürte ich. Er umkreiste mich und heulte, heulte, daß mir das Blut in den Adern gefror. Ich warf einen brennenden Ast nach ihm und schrie dabei laut, doch das reizte ihn nur noch mehr. Ich sah seinen Rachen und seine schrecklichen Zähne, die mir an die Kehle wollten. Jetzt - Jonathan, Hilfe! -, jetzt setzte er zum Sprung an! Doch da! Was war das? Mitten im Sprung jaulte er auf und fiel zu meinen Füßen nieder. Tot! Mausetot! Und in seinem Kopf steckte ein Pfeil. Von welchem Bogen stammte dieser Pfeil? Wer hatte mir das Leben gerettet? Aus dem Schatten hinter einer Felswand trat eine Gestalt hervor. Hubert! Er stand dort mit seinem hämischen Grinsen, und doch wäre ich am liebsten auf ihn zugestürzt und hätte ihn umarmt, so sehr freute ich mich, ihn zu sehen. Zuerst. Nur im allerersten Augenblick.
»Ich bin wohl gerade zur rechten Zeit gekommen«, sagte er.
»Ja, das bist du wirklich«, sagte ich.
»Warum bist du denn nicht zu Hause auf dem Reiterhof?« fragte er.
»Was hast du hier mitten in der Nacht zu suchen?«
Und du selber, dachte ich, denn jetzt fiel mir wieder ein, wer er war. Welch heimtückischen Verrat planst du hier nachts in den Bergen? Oh, weshalb mußte ein Verräter mein Retter sein, weshalb mußte ich ausgerechnet Hubert dankbar sein, nicht nur für die Hammelfiedel, sondern sogar für mein Leben!
»Was hast du selber hier mitten in
Weitere Kostenlose Bücher