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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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weißer Taschentücher war eines der seltsamsten Erlebnisse Sverres und Albies. Leider würde es sich nicht wiederholen, denn sie mussten zukünftig auf öffentliche Versammlungen verzichten. Albies Herkunft bot keinen Schutz mehr. Sverre war Ausländer, ein Norweger zwar mit Aufenthaltsbewilligung, da Norwegen neutral war, was hieß: aufseiten Englands. Aber Sverres Akzent klang deutsch, obwohl er sich im Laufe der Jahre gemäßigt hatte, das könnte ihn schlimmstenfalls in Todesgefahr bringen. Die Times hatte ihre Leser im Scherz zur Vorsicht gemahnt: »Wenn ein Kellner behauptet, er sei Schweizer, dann lassen Sie sich seinen Pass zeigen.«
    Albie und Sverre blieb nichts anderes übrig, als London schnellstmöglich zu verlassen. Zu ihrer großen Betrübnis wussten auch die Bloomsbury-Freunde keinen besseren Rat. Roger Fry, Vanessa und Margie beschlossen, in der Hauptstadt zu bleiben, um sich um ihr vorgeblich unpolitisches Kunstprojekt, die Omega Workshops, zu kümmern, Roger war zu alt, um noch einberufen zu werden, und Frauen konnten nicht zwangsweise eingezogen werden.
    Für einige andere Freunde war die Lage noch ungewiss. Vanessas jüngste und vielleicht letzte Eroberung, Duncan Grant, war nicht zu alt und außerdem noch recht fit. Er konnte jederzeit einberufen werden. Sein Liebhaber ­Bunny ebenfalls.
    Albie hatte die rettende Idee.
    »Ich stelle euch ab sofort in Manningham als Land­arbeiter ein«, lispelte er durch seine verquollenen Lippen. »Manningham kommt peinlicherweise wegen des umfassenden Haferanbaus eine wichtige Rolle hinsichtlich der Landesverteidigung zu. Meine Idee war das nicht, wir wurden angewiesen, Hafer anzubauen, aber es mangelt uns an Arbeitskräften. Wie dem auch sei, wir können dem Hafer dankbar sein, denn dieser wird euch die Armee ersparen.«
    »Wieso ist der Haferanbau so wichtig?«, wollte Margie wissen. »Wäre Brotgetreide nicht sinnvoller?«
    »Doch«, murmelte Albie. »Der Hafer ist für die unbesiegbare Kavallerie, die uns schon vor zwei Jahren den Sieg hätte sichern sollen.«
    Bertrand mischte sich ins Gespräch ein und hielt eine kurze Rede über Pferde und Maschinenpistolen.
    »Nichtsdestotrotz«, fuhr Albie angestrengt fort, »haben sich über die Hälfte meiner Landarbeiter zu Anfang des Krieges freiwillig gemeldet. Kein Einziger ist zurückgekehrt, die meisten sind tot. Die für die Armee notwendige Landwirtschaft benötigt also Leute. Als Arbeiter im Hafer könnt ihr nicht eingezogen werden. Der Lohn ist zwar bescheiden, aber ihr könnt bei Sverri und mir in der Ingenieursvilla in Manningham wohnen. Die Aufwartung ist inzwischen allerdings etwas bescheiden geworden. Die Hälfte des Dienstpersonals ist ebenfalls in Belgien verschollen.«

X – Lord Lieutenant
    Manningham, 1917
    Manningham war von der englischen Armee besetzt. Unteroffiziere und Offiziere bis zum Grad des Hauptmanns wohnten im ersten Stock, und die Bibliothek und die Salons waren in Krankensäle mit dicht stehenden Feldbetten verwandelt worden. Das kleine Esszimmer wurde nach wie vor als Esszimmer genutzt und das Herren- und das Billardzimmer von den Rekonvaleszenten, die in der Lage waren, sich zu bewegen. Im zweiten Stock, in dem die Offiziere der oberen Dienstränge logierten, war das Gedränge bedeutend geringer, da die Gefahr, verletzt oder getötet zu werden, mit steigendem Dienstrang abnahm.
    Ein großer Teil der Dienstboten hatte sich zu Beginn des Krieges freiwillig gemeldet, und niemand war zurückgekehrt. Den Krankenschwestern und Krankenpflegern standen also unter dem Dach und im Souterrain genügend Zimmer zur Verfügung.
    In den meisten Schlössern und Herrenhäusern Englands sah es vermutlich ähnlich aus. Genaues wusste man allerdings nicht, da das der militärischen Geheimhaltung unterlag.
    Albies Schwester Alberta, ihr Mann Arthur und ihre drei Kinder, darunter nun auch endlich ein Sohn, hatten es in ihrem Gut in Somerset noch beschwerlicher. Man hatte sie in eine kleine Wohnung im Küchentrakt des Herrenhauses verbannt. Nicht einmal Lady Elizabeth, einer Dame Anfang sechzig, hatte man mehr als ein Zimmer zugestanden. Nicht, dass sie sich beklagt hätte, das wäre unenglisch gewesen. Sicher ging es ihr bei Alberta und ihren Enkeln besser, als wenn man sie gezwungen hätte, zu Albie und Sverre in die Ingenieursvilla zu ziehen.
    Manningham House spiegelte den Krieg wider, fand Sverre. Mit ein bisschen Fantasie erhaschte man beim Anblick der Verletzten einen Einblick in die Hölle des

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