Die Brueder
geltend machen und Deutschland England gegenüber auch nicht. Keine großen Prinzipien stünden auf dem Spiel. Keiner der Kontrahenten verfolge wichtige menschliche Ziele. Und die Engländer und Franzosen, die behaupteten, sie würden zur Verteidigung der Demokratie in den Krieg ziehen, konnten nur hoffen, dass der Verbündete Frankreichs, das zaristi sche Russland, und die zwangsrekrutierten indischen Hilfs truppen das nicht hörten.
Bertrand war nicht nur ein logischer Denker, sondern auch ein charismatischer Redner, der das gesamte Gefühlsregister seines Publikums zu nutzen wusste. Heiterkeit brach aus, als er sich über Charles Masterman ausließ, der für die Kriegspropaganda der Regierung verantwortlich war und die Schriftsteller James Barrie, John Galsworthy, Arthur Conan Doyle und H. G. Wells vor seinen Karren gespannt hatte, damit sie »ihrem Land und der englischsprachigen Rasse dienten«, indem sie erbauliche Lügengeschichten erfanden, was vielleicht besser gewesen sei, als wenn sie sich auf ihre besonderen Fähigkeiten konzentriert hätten, zumindest für die Deutschen. Denn, so stänkerte er weiter, wie schrecklich wäre es doch gewesen, hätte man Peter Pan, die Familie Forsyte, Sherlock Holmes und das Krakenmonster vom Mars gleichzeitig auf das Schlachtfeld losgelassen.
Das Künstlerbataillon, das sich dem Kriegspropagandaamt verpflichtet habe, sei kaum besser als die Schriftsteller, die ihre Arbeitstage mit zoologischen Studien verbrachten und die Deutschen entweder mit Affen oder mit Schweinen verglichen.
Aber Bertrand konnte auch gewissen Trost spenden, indem er der gemeinsamen Trauer Ausdruck verlieh. Der Trauer darüber, dass das Land in glühendem Hass versank, der Trauer darüber, dass selbst der Bischof von London von nichts anderem sprach, als davon, alle Deutschen zu töten, töten, töten, Männer, Frauen und Kinder. Der Trauer darüber, dass sich der blinde Irrsinn in verzückten Hoffnungen auf das größte Blutbad der Weltgeschichte steigerte und dass neunzig Prozent der Engländer ohne Zögern einer solchen Barbarei zustimmten.
Aber nicht alles sei irrsinnig und entmutigend, setzte er seine Rede fort. Man schreibe das Jahr 1916 und über 200 000 Engländer hätten die Forderung nach unverzüglichen Friedensverhandlungen bereits unterschrieben. Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht hätten 20 000 Männer den Wehrdienst verweigert. Dass die Presse die Tatsachen verschweige, sei nur auf einen fehlgeleiteten journalistischen Patriotismus zurückzuführen.
Bertrand beendete seinen Vortrag mit Schlussfolgerungen, denen seiner Meinung nach jeder demokratisch gesinnte Engländer zustimmen konnte. Er hasse, betonte er, den deutschen Militarismus ebenso sehr, wie er die Freiheit Englands liebe. Und müsse er einen Sieger wählen, so sei das natürlich England.
Aber je länger dieses wahnsinnige Gemetzel währe, desto mehr rüste England nach deutschem Vorbild auf und schränke die Demokratie mit dem absurden Argument ein, dies sei zu ihrer Rettung notwendig. Millionen Todesopfer seien die Folge, eine Drachensaat unfassbaren Ausmaßes und die Garantie für eine verbitterte, hasserfüllte Nachwelt, deren Wunden nie verheilen würden und die mit Sicherheit neue und noch fürchterlichere Kriege anstreben würde.
Eigentlich hätten die über tausend Friedensbefürworter in stürmischen Applaus ausbrechen müssen, aber niemand klatschte, denn vor der Kirche tobten die Kriegshetzer und drohten, mit Knüppeln bewaffnet den Saal zu stürmen. Es war ungewiss, ob die wenigen Polizisten, die die Versammlungsfreiheit der Friedensfreunde gewährleisten sollten, wirklich etwas ausrichten konnten, falls der Mob erst richtig in Aufruhr geriet.
Die Veranstalter hatten dieses Problem vorhergesehen. Daher hatte man Jubel und Applaus verboten. Statt zu klatschen, sollten die Zuhörer mit weißen Taschentüchern winken. Rauf und runter bedeutete Applaus, hin und her Gelächter und Kreisen Jubel.
Während Bertrands Rede zog ein kräftiger Wind durch den Saal, der bisweilen zu einer leichten Brise abflaute, um dann wieder zu einem allgegenwärtigen Sturm aufzufrischen. Nur Bertrands Rede, der Taschentuchwind und das hasserfüllte Gebrüll des Mobs vor der Kirche waren zu hören.
Jubel und Gelächter der Landesverräter, der Feiglinge und Sodomiten im Versammlungssaal der Quäker, seien der Funke gewesen, der die Wut jenseits der Kirchenmauern entfacht habe.
Die Rede Bertrands im Luftzug
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