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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Freundschaft, die so lange andauerte, wie Henry Carrington in Manningham gepflegt wurde, nahm ihren Anfang. Mit Ausnahme seines Beines fehlte ihm nicht viel. Er würde nach Hause entlassen werden, sobald er mithilfe einer Prothese zu gehen gelernt hatte.
    Der stellvertretende Hauptmann Carrington behaup­tete, nicht über den Krieg sprechen zu können. Dafür reiche die Sprache ganz einfach nicht aus, und damit meine er nicht nur das Englische. Er war der Überzeugung, dass sich diese Hölle ebenso wenig auf Französisch oder Deutsch beschreiben ließ. Hingegen ließ sich mühelos erkennen und beschreiben, dass er mit amputiertem Bein in einem Rollstuhl in der Provinz in Wiltshire saß und dabei noch Glück gehabt hatte. Es lag nun gut drei Jahre zurück, dass er sich zusammen mit allen anderen frisch examinierten Ingenieuren aus Cambridge nach einem grandiosen Besäufnis an der nächsten Straßenecke hatte anwerben lassen. Sie waren wie die Jünger Jesu zu zwölft gewesen. Soweit er wusste, lebten einschließlich ihm nur noch drei.
    Es war selbstverständlich verboten und außerdem unpatriotisch und vermutlich auch deutschfreundlich, die geringste Kritik am Krieg, pardon, am Großen Krieg zu üben. Nichts lag ihm ferner. Aber Zahlen und Fakten ­ohne politische Interpretationen waren ja vielleicht etwas anderes?
    Sverre hatte den Eindruck, dass Henry Carrington, der zehn Jahre jünger war als er selbst und einige der schlimmsten Ereignisse der menschlichen Geschichte am eigenen Leibe erfahren hatte, seinen Hass gegen den Krieg am liebsten laut hinausgebrüllt hätte.
    Das war natürlich interessant, aber auch nicht unkompliziert. Wenn Oberst Cunningham den Befehl erteilte, einen harmlosen Künstler in Ketten zu legen, weil dieser eine verdächtige Skizze angefertigt hatte, würden Henry Carringtons deutliche Worte vermutlich als Hochverrat aufgefasst. Jedenfalls wenn sie Oberst Cunningham zu Ohren kämen. Der Vorschlag des verwundeten Offiziers war trotzdem deutlich gewesen. Fest stand, dass alles, was sie über den Krieg sagten, verklausuliert werden musste. Sie mussten sich eigens dafür eine Sprache zulegen.
    Sverre entschuldigte sich, begab sich anschließend in die Inge­nieursvilla, blätterte eine Weile in den gesammelten politischen Zeichnungen, bis er das Gesuchte gefunden hatte, und kehrte dann zu seinem neuen Gesprächspartner zurück.
    »Dieses Bild fasziniert mich unerhört«, sagte er und strich einen Ausschnitt aus den Illustrated London News glatt. Die geschickte und dynamisch heroische Illustration war mit der Unterschrift »Lanzenreiter reiten den Kanonen entgegen« versehen.
    »Was halten Sie von diesem Bild, ich meine, rein sachlich und unpolitisch?«, fragte Sverre. Henry Carrington ließ mit der Andeutung eines Lächelns erkennen, dass er die Geheimsprache verstanden hatte.
    »Rein sachlich und historisch gesehen verhält es sich folgendermaßen«, begann er in einem Vorlesungsstil, wie er nach Cambridge oder Dresden gepasst hätte, »dass ich zufälligerweise gewisse Spezialkenntnisse auf diesem Gebiet besitze, da meine Kameraden und ich Augenzeugen des ersten, größten und garantiert letzten Angriffs der Kavallerie waren.«
    Sie waren angetreten, um sich ein paar wahre Worte aus dem Munde ihres damaligen Oberbefehlshabers French anzuhören. Der General hatte eine erbauliche Rede über die entscheidende Rolle der Kavallerie in verschiedenen Kriegen gehalten. Jetzt würde erneut diese besonders englische Methode des Kampfes zum Einsatz kommen. Die feindlichen Verteidigungslinien würden daraufhin sofort zusammenbrechen, worauf die Infanterie ihre Aufräum­arbeiten durchführen konnte.
    Henry Carrington war es vollkommen unwirklich vorgekommen, neben seinen Kameraden zu stehen, machtlos des bevorstehenden Irrsinns zu harren und mit anzusehen, wie sich die Kavalleristen allen Ernstes zum Angriff über ein lehmiges, unwegsames Feld voller Maschinengewehrstellungen des Feindes bereit machten. Vermutlich hatten auch die Deutschen ihren Augen kaum getraut.
    Dann wurde zum Zeichen des Angriffs eine Leuchtgranate gezündet, und zweihundert Kavalleristen stürmten, ohne zu zögern und mit gesenkten Lanzen, auf breiter Front los.
    Kein Einziger überlebte. Ein einziges herrenloses Pferd kehrte zurück, war aber so schwer verletzt, dass es erschossen werden musste. Der wartenden Infanterie blieb die Aufräumaktion erspart. Den General hatte das offensichtliche Versagen seiner überlegenen Taktik sehr

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