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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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erstaunt.
    Anschließend wurden die Pferde der Armee nur noch als Zugtiere verwendet. Ein weiterer Angriff mit gesenkten Lanzen hatte, soweit Henry Carrington wusste, nicht mehr stattgefunden. Wenn nicht …
    Er betrachtete den Zeitungsausschnitt und stellte fest, dass er 1916 erschienen war, zwei Jahre nach dem ersten und einzigen Angriff der Kavallerie auf die Maschinen­gewehre des Feindes, dem er zufälligerweise selbst beigewohnt hatte. Nein, einen derartigen Angriff hatte England klugerweise nie wieder durchgeführt.
    Sverre erzählte, dass das Gut Manningham bereits geraume Zeit vor Ausbruch des Krieges den Befehl der Armee erhalten habe, im Dienste der Nation, wie es damals hieß, großflächig Hafer anzubauen. Also war von Anfang an beabsichtigt gewesen, die Kavallerie als Offensivwaffe gegen die Deutschen einzusetzen. Ein Umstand, der ihn erstaunte. Jeder Zivilist konnte sich zusammenreimen, wie ein Angriff der Kavallerie auf Maschinengewehre enden musste, da sowohl die Engländer als auch die Deutschen diese Waffen in Afrika eingesetzt hatten. Und zwar offenbar mit großem Erfolg, völlig unbegreiflich. Gab es für diese missglückte Taktik eine sachliche, unpolitische und patriotische Erklärung?
    »In der Tat«, antwortete Henry Carrington ernst. »Auch uns Cambridge-Absolventen erstaunte das Gesehene sehr, und wir fragten also unseren Obersten. Dieser erklärte uns voller Empörung, Maschinengewehre seien fürchterliche Waffen, die nur gegen Neger und andere minderwertige Rassen eingesetzt werden dürften. England sei von dem ehrlosen Verhalten der Deutschen überrumpelt worden und habe einen moralischen Schock erlitten.«
    Sverre verblüffte diese brutale Wahrheit. Henry Carrington blickte ihm durchdringend und ernst in die Augen, wie um ihm zu bedeuten, dass es über diese sachliche, unemotionale und unpolitische Erklärung hinaus unter anderen Umständen und an einem anderen Ort noch vieles hinzuzufügen gegeben hätte.
    »Die nächste Frage lautet dann, was mit dem Manningham’schen Hafer geschieht, nachdem sich der Einsatz der Kavallerie als ungeeignet erwiesen hat«, fuhr Sverre in dem Versuch fort, sich von einem Thema zu entfernen, das sich am Rande unerlaubter Kritik bewegte.
    »Lebendige Zugpferde brauchen mehr Hafer als tote Kavalleriepferde«, erwiderte Carrington, ohne die Miene zu verziehen.
    Diese Bemerkung konnte, nicht ganz zu Unrecht, als ironisch aufgefasst werden, und ein missbilligendes Räuspern war in der Nähe zu hören, woraufhin sie auf das Porträt zu sprechen kamen, das Sverre malen wollte.
    Es gab kleine, aber aussagekräftige Stilmittel, derer er sich bedienen konnte. Henry Carrington trug einen weißen Kittel aus dünner weißer Baumwolle, unter dem seine Uniformjacke hervorschaute. Der Stumpf seines linken Beines blutete immer noch durch den Verband. Öffnete man den weißen Krankenhauskittel ein wenig, so kam ein Military Cross, der höchste Orden für Tapferkeit, zum Vorschein.
    Den Hintergrund bildete der Krankensaal, in dem Verwundete auf Krücken und reihenweise Feldbetten auszumachen waren.
    So sahen die Voraussetzungen aus. Damit ließ sich das heroische Gemälde eines Kriegshelden schaffen, das dieser seinen Kindern und Enkeln vorführen konnte. Aber auch das genaue Gegenteil war möglich. Alles hing davon ab, wie Sverre die Gesichtsverletzungen präsentierte und welche Miene er abbildete. Diese Überlegungen konnten ­jedoch noch warten. Jetzt war es an der Zeit, mit dem Grundlegenden zu beginnen.
    *
    Sverre hatte sich nach fast einem Jahr immer noch nicht an den paradoxen Anblick von Albies Offiziersuniform gewöhnt. Albie hingegen kümmerte es wenig. Er scherzte darüber, dass sein Einsatz hauptsächlich darin bestehe, Lunchtermine wahrzunehmen, die Köpfe von Kindern zu tätscheln und Witwen zu besuchen. Außerdem musste er seine Umgebung täglich davon überzeugen, dass sein Einsatz patriotischem Eifer entsprang.
    Die Zivilbevölkerung um Manningham herum und im übrigen Wiltshire fand ihn vermutlich überzeugend. Sie verehrten ihren »Lord Lieutenant«, den 13. Earl of Manningham, mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der die Earls in den vergangenen Jahrhunderten verehrt worden waren.
    Leider hatten die Offiziere des Regiments eine andere Einstellung. Der Bericht in der Daily Mail über Lord ­Albert Fitzgerald und seinen deutschfreundlichen Lustknaben hatten einen unauslöschlichen Eindruck hinter­lassen. Albie hatte sogar erlebt, dass die Offiziere

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