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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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gesellt hatte und wie immer zuerst geschwiegen, eine Weile an seiner Pfeife gesogen und sich seine Worte reiflich überlegt hatte. »Meine Friedensarbeit gegen die Wehrpflicht geht weiter, also bleibe ich hier. Das mag in den Augen der Kriegsaktivisten wie eine Provokation wirken, aber ich kann mich, wie peinlich mir das auch ist, immer hinter dem Namen meiner Familie verstecken. Darauf hat auch einer der Polizisten hingewiesen, als er den Mob in die Schranken wies, der eine unserer Friedensversammlungen störte, indem er das ganze Lokal verwüstete und ›Rule Britannia‹ grölte. Zuletzt wollte man auch noch über mich herfallen. Da stellte sich ihnen der Polizist in den Weg, hob die Hand und gab zu bedenken, dass mein Bruder ein Earl sei!«
    Die Freunde lächelten erschöpft. Der Krieg wartete in England mit immer neuen Absurditäten auf.
    »Du müsstest also denselben Schutz genießen, Albie, schließlich bist du selbst ein Earl«, fuhr Bertrand fort, und es war nicht klar, ob er scherzte oder es ernst meinte.
    »Schon möglich«, lispelte Albie durch seine geschwollenen Lippen. »Aber ich fürchte, dieser eventuelle Vorteil wird mehr als ausreichend dadurch aufgewogen, dass ich zugleich ein Deutsch sprechender Sexualverbrecher, also ein Landesverräter bin. Möglicherweise gesteht man mir das Recht zu, an einer Seidenschnur aufgehängt zu werden.«
    Bertrand nickte nachdenklich. Er grübelte eine Weile und fuhr dann fort.
    »Aber als Earl of Manningham bist du doch wohl automatisch Adelsoffizier des Wiltshire-Regiments?«
    »Natürlich«, erwiderte Albie mit gepresster Stimme, dem die Frage ebenso große Mühe zu bereiten schien wie seine Artikulation. »Hauptmann oder Leutnant, ich weiß es nicht genau, das hängt, soweit ich weiß, vom Alter ab. Wieso?«
    »Das Risiko, hier in London in Zivil gelyncht zu werden, ist recht groß«, fuhr Bertrand fort. »Das Risiko hingegen, dass jemand dir oder Sverre ein Härchen krümmt, wenn du in Wiltshire eine Uniform trägst, ist äußerst gering, nicht wahr?«
    Albie nickte schicksalsergeben. Bertrand vollführte eine lässige Handbewegung, um zu bedeuten, dass das Problem damit gelöst sei.
    »Was zum Teufel bedeutet Adelsoffizier?«, fragte Vanessa erstaunt.
    Albie schien keine Lust zu haben, diese Frage zu beantworten.
    »Das ist eine modische Erscheinung aus dem 17. Jahrhundert«, meinte Bertrand fröhlich. »Einige von uns eignen sich automatisch besser für den Krieg als andere und auch für alle staatlichen Ämter. Wie mein großer Bruder darf auch Albie seine militärische Laufbahn daher als Hauptmann beginnen, während wir andere uns damit begnügen müssen, als simple Gefreite anzutreten.«
    Diese Absurdität, von Bertrand so gut gelaunt vorgetragen, heiterte die bis dahin düster gestimmten Freunde ein wenig auf.
    Albie und Sverre bewunderten Bertrand, weil er sich ungeniert mit dem englischen Etablissement anlegte und die Folgen nicht scheute. Als er in einer Rede darauf hingewiesen hatte, wie skandalös es doch sei, dass sich zwei Drittel aller Studenten aus Oxford und Cambridge, die vermutlich alles andere als Idioten seien, freiwillig als Kanonenfutter hätten anwerben lassen, war er unverzüglich seiner Professur in Cambridge enthoben worden.
    Er war zu einer einmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er die Ehre der Armee in den Schmutz gezogen hatte. Das neue »Gesetz zur Landesverteidigung« ermöglichte es, die demokratischen Rechte beliebig ein­zuschränken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Bertrand wieder hinter Gittern landete. Trotzdem zögerte er nicht, weiterhin für den Frieden zu agitieren. Albie und Sverre waren sich darin einig, dass dies größeren Mut erforderte, als auf dem Schlachtfeld zu sterben.
    Nur zwei Tage zuvor hatten sie, als einfache Leute der Mittelschicht verkleidet, einer Friedenskonferenz mit über tausend Delegaten im größten Saal der Quäker in London beigewohnt. Es war der Kongress der »Vereinigung gegen die Wehrpflicht«, der einflussreichsten pazifistischen Organisation Englands, gewesen. Bertrand war der Haupt­redner des Abends gewesen.
    Wie nicht anders zu erwarten, hatte er eine strahlende Rede mit logischen, einfachen und unwiderlegbaren Ar­gumenten gehalten. Er hatte mit dem Hinweis eingeleitet, dass der sogenannte Große Krieg nur hinsichtlich seines Umfangs und der Zahl der Gefallenen groß und im Übrigen sinnlos sei. England könne Deutschland gegenüber keine territorialen Ansprüche

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