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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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sicherlich viel mehr Freude und Genugtuung bereitete als das Künstlertheater, das Duncan und Vanessa sich und ihren Freunde vorspielten.
    Ein etwas anderes Auftreten hatte Roger Fry. Er war einer der hellsichtigsten Kunstkritiker Englands, er besaß einen untrüglichen Blick, er beherrschte die gesamte Kunstgeschichte, bildete sich aber auf seine eigenen künstlerischen Erzeugnisse nichts ein. Er malte ständig, im Charleston Farmhouse täglich, weil es ihm Freude bereitete. Im Grunde war es ein beneidenswerter und angenehmer Zustand, ohne Qualen, Anwandlungen von Größenwahn und lange Phasen der Verzweiflung über die eigene Unzulänglichkeit malen zu können.
    Im Großen und Ganzen war das Charleston Farmhouse wie das Leben und die Kunst, eine höchst unwirkliche Mischung aus Schönheit und Hässlichkeit, Sublimem und Plumpem, Intelligenz und reiner Dummheit. Diese Mischung entbehrte nicht einer gewissen Komik. Schon ­allein der Kontraste wegen konnte man im Charleston Farmhouse nur guter Dinge sein.
    Das Wundervollste an dem ganzen Durcheinander war, dass man an den überraschendsten Orten plötzlich vor einem Gemälde van ­Goghs, Cézannes oder Gauguins stand, Strandgut der zwei Londoner postimpressionistischen Ausstellungen, die kurz vor dem Krieg so katastrophal durchgefallen waren. Vanessa und Duncan hatten wie alle anderen ihren Beitrag geleistet, indem sie einige der unerwünschten Gemälde erstanden. Auch in der Ingenieurs­villa in Manningham hingen an die zwanzig dieser Werke.
    Vanessa vertraute Sverre einen Kummer an, der glück­licherweise nichts mit Kunst zu tun hatte. Bald würde das große Sommerfest stattfinden, und es gab im ganzen Haus keinen einzigen Tropfen Wein mehr, der in London höchstens noch über dunkle Kanäle erhältlich war. Bier und Whisky ließen sich in ausreichenden Mengen im nächsten Dorfpub beschaffen, aber kein Wein. Die meisten Freunde, die mit Ausnahme Margies der Mittelschicht entstammten, würden sich freuen, wenn man ihnen etwas anderes als Whisky und Bier anbot.
    Sverre verstand nicht recht, warum sich Vanessa mit diesem Problem ausgerechnet an ihn wandte, fand aber bald heraus, dass Margie geplaudert hatte.
    Vor seiner Abreise nach Mombasa hatte Albie etliche Dokumente unterschrieben, darunter auch zwei, die mit Wein zu tun hatten. Mit dem einen wurde James eine letzte Aufgabe übertragen, denn es ernannte ihn auf Lebenszeit zum »Patron und Bevollmächtigten des Manningham’schen Weinkellers«. Außerdem gab es eine von Albie, genauer gesagt vom 13. Earl of Manningham unterzeichnete Vollmacht, die dem hochwohlgeborenen Sverre Lauritzen unbegrenzten Zugang zu besagtem Weinkeller einräumte.
    Sverre hatte Margie irgendwann von Oberst Cunninghams Versuch erzählt, den Weinkeller zu requirieren. Dar­aufhin hatte James, gebeugt, mit schlohweißen Brauen und leicht zitternder Hand, mit der er keinen Wein mehr hätte servieren können, den Herrn Oberst in wohlgewählten Worten darüber aufgeklärt, dass, einmal ganz abgesehen von der Frage, inwiefern 10 000 Flaschen Wein wirklich als kriegswichtig zu erachten seien, Alkohol nach geltenden militärischen Vorschriften nicht requiriert werden könne. Überdies habe außer ihm selbst nur Mr. Lauritzen Zutritt zu dem Weinkeller. Darüber lägen Dokumente vor, die seine Gnaden, der Earl, unterzeichnet hätte.
    Oberst Cunningham hatte sich mit den auch nicht zu verachtenden Rumlieferungen begnügen müssen. Den Rekonvaleszenten stand in etwa die gleiche Ration Rum zu wie den Seeleuten der königlichen Flotte, und diese Zuteilungen waren seit Jahrhunderten recht großzügig bemessen.
    Aber jetzt ging es also darum, ob das Sommerfest im Charleston Farmhouse mit oder ohne Wein gefeiert werden konnte.
    Sverre zögerte angesichts der Aufgabe, sich allein und noch dazu als Ausländer in das militärische Sperrgebiet Oberst Cunninghams zu begeben und auf sein Recht zu pochen. Das ließe sich höchstens bewältigen, wenn er von Margie, in diesem Zusammenhang von Lady Margrete, begleitet und beschützt wurde, die der Oberst ja wohl kaum in Ketten legen lassen konnte.
    Vanessa und Margie hielten das für eine hervorragende Idee. Es war nicht ganz einfach, ein Fahrzeug und Benzin für den Transport aufzutreiben, aber schließlich knatterten Sverre, Margie und ihr Clive Richtung Manningham los.
    Es war Hochsommer, und die Fahrt auf den kleinen Landstraßen hätte ruhig verlaufen können, hätten sie nicht überall entgegenkommenden

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