Die Brueder
zur Verfügung. Vanessa und Duncan waren von diesem Gedanken sehr angetan. Margie selbst und Clive waren auf dem Weg dorthin, weil bald ein Sommerfest für die alten Freunde aus Bloomsbury stattfinden würde. Außerdem hatte Maynard Keynes vor, den Rest des Sommers dort zu verbringen, um ein Buch zu schreiben. Sverre solle aber ausreichend Malerutensilien mitbringen, denn Leinwand sei Mangelware, was wohl an dem verdammten Krieg läge.
Als er Margies fröhlichen, weitschweifigen Brief las, lächelte er zum ersten Mal seit langer Zeit. Er packte einen zusätzlichen Koffer mit Malerutensilien, denn auf Albies Anraten hin hatte er kurz nach Kriegsausbruch noch rechtzeitig gehamstert. Zuoberst in den Koffer legte er das Gemälde von Manningham House, das er Margie schenken wollte.
*
Charleston Farmhouse glich einem Irrenhaus, zumindest aus der durchschnittlich englischen Middle-Class-Perspek tive, aber es lebte sich darin, umgeben vom üppig grünen Sussex, ausgesprochen angenehm. Das geräumige Haus bot außerdem vielen Irren gleichzeitig Platz, überdies war der verwilderte Garten weitläufig. Duncan und Bunny war es gelungen, sich unter Berufung auf Landarbeit – wahrscheinlich meinten sie damit das Unkrautjäten – dem Stellungsbefehl zu entziehen, was sich nur durch ein Versagen der Militärverwaltung erklären ließ. Sverre meinte, wenn ein gewisser Oberst Cunningham, dessen Bekanntschaft zu machen er in Manningham die zweifelhafte Ehre gehabt habe, davon erführe, würden sie sich unverzüglich im nächsten Truppentransport nach Flandern wiederfinden. Möglicherweise funktionierte der Betrug dank der Abgeschiedenheit des Charleston Farmhouse. Die Entfernung zum nächsten Bahnhof betrug vier Meilen.
Vanessa und Margie waren die Ersten, die Sverre nach seiner Ankunft umarmte, dann Duncan und Bunny. Die Stimmung war fast unmoralisch ausgelassen, als gäbe es gar keinen Krieg oder als ginge dieser die Intellektuellen in der ländlichen Provinz nichts an. Roger Fry war gerade eingetroffen, und als er das blaue Gemälde sah, das Sverre Margie mitgebracht hatte, zog er sich damit zurück, um es in aller Ruhe betrachten zu können. Vanessa wies die Dienstboten an, sich um Sverres Gepäck zu kümmern, und schob dann Sverre, Margie und die anderen Gästen in eine Laube, bevor sie ins Haus eilte, um den letzten Wein zu holen. Es herrschte strahlendes Frühsommerwetter, und die Azaleen und Rhododendren blühten.
Die chaotische Unterhaltung, bei der sich alle ins Wort fielen, überrumpelte Sverre zu Beginn ein wenig. Es war, als hätte er während seines langen, stillen Aufenthalts in Manningham vergessen, wie die Freunde aus Bloomsbury zu diskutieren pflegten. Plötzlich rannten zwei nackte Kinder an der Laube vorbei, Julian und Quentin, Vanessas Söhne mit Clive Bell. Jetzt lebte sie jedoch mit Duncan zusammen und erwartete sein Kind, wobei Duncan ein Verhältnis mit Bunny Garnett hatte. In Liebesdingen war also alles wie immer.
Während sich alle munter unterhielten, gesellte sich Roger Fry mit Sverres blauem Manningham-Gemälde in der Hand wieder zu seinen Freunden und stellte es auf einen Gartenstuhl, damit es alle betrachten konnten. Er strahlte eine seltsame Beherrschtheit aus, und das fröhliche Gespräch verstummte abrupt.
»Was zum Teufel soll das denn sein?«, fragte Roger übertrieben dramatisch und deutete mit einer ausholenden Bewegung auf das Gemälde.
Alle starrten das dramatische Nachtbild an mit dem Feuer, das in den Fenstern zu erahnen war. Alle schwiegen in Erwartung dessen, wie Sverre auf den Vorwurf reagieren würde.
»Das ist eines meiner besten Gemälde«, antwortete Sverre grimmig.
Die Blicke aller wandten sich zu Roger, dessen Miene immer noch unbegreiflich finster war. Die Bloomsbury-Freunde beschimpften einander grundsätzlich nie wegen ihrer Kunstwerke, nicht einmal, wenn es vielleicht berechtigt gewesen wäre, und das galt ganz besonders für den Kunstkritiker Roger.
»Ja, das könnte man vielleicht sagen«, erwiderte dieser, und ein vorsichtiges Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. »Wie du es rein technisch fertiggebracht hast, ist mir allerdings schleierhaft, das musst du mir zeigen. Aber eines ist sicher. Dies hier ist ein Meisterwerk. Und jetzt brauche ich was zu trinken!«
Nach der kurzen Anspannung explodierte die fröhliche Stimmung förmlich, und das Gemälde wurde herumgereicht, damit sich alle die Technik aus der Nähe ansehen konnten. Dann wurde es
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