Die Brueder
vorhergehenden, als derartige Erklärungen nachweislich eine Lüge gewesen seien?, wollte Clive wissen.
Die Finanzen, antwortete Maynard unwirsch. Im Krieg gehe es nicht, wie in England landläufig angenommen, um Mut und Tapferkeit, den unbeugsamen englischen Geist und was es sonst für Floskeln gebe. Im Krieg gehe es in erster Linie um finanzielle Mittel. Seit sie vor einem Jahr in den Krieg eingetreten seien, verschifften die Amerikaner Waffen und Soldaten nach Europa, und sobald diese nun nach langwierigen Vorbereitungen zum Einsatz kämen, würden sie das Gleichgewicht zerstören. Überraschend nahm Maynard einen Vergleich aus dem Boxsport zu Hilfe.
Man müsse sich zwei völlig erschöpfte, gleich starke Boxer in der 44. Runde vorstellen, die sich aneinanderlehnten, weil keiner der beiden in der Lage sei, den anderen k. o. zu schlagen. Dann trete plötzlich, gegen alle Regeln der Fairness, ein dritter, vollkommen ausgeruhter Boxer in den Ring und schlage auf einen der beiden ein. Genau das geschehe jetzt und habe sich seit Monaten angebahnt. Das reichste Land der Welt pumpe Waffen, Proviant und Treibstoff in den Konflikt und stelle eine Million schlechter, rasch ausgebildeter Soldaten in Frankreich und Belgien. Die Amerikaner könnten diesen Einsatz verdoppeln oder gar verdreifachen und dabei auch noch ihre eigene Wirtschaft ankurbeln.
Keiner der Freunde in der Laube widersprach Maynards ruhigen und selbstverständlich logischen Erläuterungen. Außerdem interessierten sich die Freunde nicht sonderlich für das Thema. Sie unterhielten sich lieber über Farbe, Form, Sexualität und die Ballets Russes.
Einer nach dem anderen verschwand mit einer gemurmelten Entschuldigung, bis nur noch ein zutiefst zwiespältiger Sverre Maynard Gesellschaft leistete und darüber nachsann, wie der Krieg am besten zu beenden sei. Ein Unentschieden wäre vermutlich wünschenswert. Oder ein gemäßigter deutscher Sieg, der für England keine negativen Konsequenzen hätte. Deutschland war ja seine zweite Heimat, und in England wohnten alle seine Freunde.
»Weshalb hast du die englische Friedensdelegation in Versailles verlassen?«, fragte er schließlich. »Ist es, wenn man eine abweichende Meinung vertritt, nicht sinnvoll, bis zum Schluss zu bleiben und den Versuch zu unternehmen, die anderen zu überzeugen, statt aufzugeben?«
Maynard schüttelte den Kopf.
»Ich hatte keinerlei Einfluss«, meinte er. »Ich war nur einer von Lloyd George’ kleinen Beamten, und die hohen Tiere waren vollkommen verrückt, allen voran die Franzosen. Clemenceau schlug allen Ernstes vor, die Siegermächte sollten Deutschland in passende Häppchen aufteilen und das Land auf immer zerschlagen. England vertrat den Standpunkt, Frankreich solle sich mit Elsass-Lothringen begnügen und Deutschland fünfzig Jahre lang Reparationen leisten. Das sei ein besseres Geschäft, als das Land zu besetzen und immer wieder aufflammende Aufstände niederschlagen zu müssen. Unter diesen Umständen wollte ich nicht mehr dabei sein. In Versailles sind sie damit beschäftigt, den Krieg zu gewinnen und den Frieden zu verlieren.«
Sverre runzelte die Stirn und schüttelte verständnislos den Kopf. Maynards Art, die Dinge zu erläutern, als handele es sich dabei um Selbstverständlichkeiten, die jedes Kind verstehe, machte es ihm nicht leichter.
»Lieber Maynard, ich begreife es nicht«, sagte Sverre nach einer langen Pause, während der Maynard geduldig gewartet hatte. »Bedenke bitte, dass ich wie vermutlich die meisten anderen hier von Politik keine Ahnung habe. Versuche trotzdem, es mir zu erklären. Weshalb werden die Siegermächte den Frieden verlieren?«
»Nun, das ist die entscheidende Frage«, antwortete Maynard. »Wir werden Deutschland jahrzehntelang andauernde Plagen auferlegen, die einen fürchterlichen deutschen Hass zur Folge haben werden. Deutschland bleibt dabei intakt und verfügt über die bedeutendsten technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften Europas. Das kann nur auf eine Art enden: Deutschland wird sich grausam rächen und einen Krieg anzetteln, der aufgrund der technischen Entwicklung noch fürchterlicher ausfallen wird als der, den wir gerade beenden.«
»Und davon soll dein Buch also handeln?«
»Ja. Ich habe bereits angefangen. Anderthalb Kapitel sind fertig.«
»Und wie soll das Buch heißen?«
»Das weiß ich noch nicht. Der Arbeitstitel lautet ›Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges‹.«
»Wenn man etwas Wichtiges zu
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