Die Brueder
Tischordnung – Lady Sophy und die Jubilarin Lady Elizabeth flankierten den Gastgeber Albie – war, dass die zweitälteste Tochter Margie an der Tafel sechs Plätze nach unten wanderte und damit auch ihr Verlobter Sverre. Damit saßen die jungen Herren ausreichend weit voneinander entfernt und konnten sich nach dem leicht zu durchschauenden Gedanken Großmutter Sophys somit nichts Unpassendes einfallen lassen.
Margie und Sverre passte das ausgezeichnet. Beiden war es erspart geblieben, sich bei Tisch mit einem Schwachkopf abmühen zu müssen. Sie konnten sich damit amüsieren, Theater zu spielen. Margie gab – wie immer strahlend – die Rolle der Lady Margrete, obwohl Sverre zuweilen ein wenig errötete, wenn sie mit der Parodie zu weit ging.
Als Sverre ihr zuflüsterte, sie hätte Schauspielerin werden sollen, nahm sie ihr Kristallglas mit dem Manningham-Wappen und forderte ihn mit einem Blick auf, ihr zuzutrinken. Dann beugte sie sich mit einem engelsgleichen Lächeln zu ihm vor und flüsterte, diese verfluchte Rolle habe sie schon mit dreizehn beherrscht.
Als sie beide ihre Gläser wieder abstellten, streichelte sie ihm anzüglich über den Handrücken. Mit einer Miene, als würde sie über das Wetter oder die Fuchsjagd sprechen, fragte sie dann, wie es eigentlich um seine und Albies körperliche Liebe bestellt sei.
Er antwortete knapp, dass sie sich verdammt noch mal nicht in Bloomsbury befänden. Margie flüsterte zurück, das sei durchaus möglich, solange man sich nur mimisch den Anschein gebe, bei den Idioten in Manningham zu sein. Daraufhin streichelte sie ihn unter dem Tisch mit dem Fuß.
Margies skandalträchtiges Spiel – Lady Sophy wäre in Ohnmacht gefallen, wenn sie etwas gesehen, gehört oder auch nur geahnt hätte – war erregend, überraschend erregend. Aber das eingefrorene Begehren, das sie in ihm weckte, richtete sich nicht auf sie, sondern auf Albie, der außer Hörweite fünfzehn Fuß entfernt saß.
Trotzdem war es, als hätte Albie sie gehört. Mitten in einer Unterhaltung mit seiner Mutter schaute er zu Sverre herüber, zupfte sich rasch an der Nase und lächelte. Das heimliche Zeichen kostete ihn nur eine Sekunde, ohne dass er die Unterhaltung deswegen hätte unterbrechen müssen.
Es durchfuhr Sverre wie ein elektrischer Stoß, und da er kein geborener Gentleman war, konnte er seine Reaktion nicht vor Margie verbergen. Sie hatte es gesehen, denn ihr entging an dieser Tafel nichts.
»Es war also recht kühl in Afrika?«, fragte sie ungerührt, als James ihr Rotwein nachschenkte und dann einen Schritt nach links zu Sverre trat.
»Ja«, sagte er. »Eigentlich kaum zu glauben, aber so war es. Besonders morgens und abends.«
»Wenn man am geilsten ist?«, fragte Margie, als sich James außer Hörweite der Unterhaltung befand, die scheinbar vom Wetter handelte.
»Unsere Schlafzimmer haben das Zimmer von Lord Delamere eingerahmt«, seufzte Sverre. »Und dieser Mann wird davon wach, dass ein Leopard an ihm vorbeischleicht. Außerdem hasst er die Sodomiten und reißt ständig enervierende Witze über dieses Thema.«
»Und das war vermutlich ebenfalls recht abkühlend.«
»In allerhöchstem Grade. Entschuldige mich einen Augenblick.«
Sverre suchte erneut Albies Blick am anderen Tischende, bewegte sein Messer in Richtung der Entenbrust, richtete dann aber die Messerspitze einen kurzen Augenblick auf Albie, ehe er ein Stück Ente abtrennte und mit einem Lächeln Albies belohnt wurde.
Margie entging dieses Spiel selbstverständlich nicht.
»Du brauchst nicht zu glauben, dass ich das nicht bemerkt habe«, sagte sie lachend, als ginge es um etwas Harmloses, über das feine Damen lachen durften. »Ich habe diese Streiche schon früher beobachtet, als wir noch alle hier gewohnt haben. Aber mir war nie klar, was diese Zeichen bedeuten. Lass mich raten, ein Ziehen an der Nase bedeutet …?«
»Nach dem Strafgesetzbuch besonders unschickliche Handlungen unter Männern «, antwortete Sverre fröhlich, als hätten sie über das Wetter gescherzt.
»Ich verstehe. Und dann bedeutet das Messer … Nein, Gott, daran will ein feines Mädchen vom Lande gar nicht erst denken.«
Sverre, der fand, dass das Spiel jetzt langsam zu weit ging, wechselte demonstrativ das Thema und bat Margie, ihm von Georges Seurat zu erzählen, von dem weder Albie noch er je gehört hatten. Den Rest des Dinners sprachen sie mit etwas lauterer Stimme über Kunst, scheel beäugt von ihren Tischnachbarn. Kunst, also
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