Die Brueder
moderne Schiffbautechnik vor, gab aber auf, nachdem er den ersten Satz dreimal gelesen hatte, ohne ein Wort zu verstehen. Er ging ins Bad und überprüfte Wasserstand und Temperatur. Das Wasser aus dem Wasserhahn war kühler, aber das Bassin war inzwischen bereits mehr als zur Hälfte gefüllt. Er warf den Morgenmantel zu Boden, ging die Treppe hinunter und ließ sich mit ausgebreiteten Armen ins Wasser fallen. Die Hitze war beinahe schmerzhaft.
Er stieg aus dem Wasser, um sich abzukühlen, und öffnete eines der großen Bleiglasfenster. In der Ferne leuchtete Manningham House wie eine riesige Geburtstagstorte. Im dritten Stockwerk, in dem sich die Gästezimmer befanden, war bis auf zwei Fenster jedoch bereits alles dunkel. Vielversprechend. Nur zwei Zimmer, in denen die Gäste noch nicht zu Bett gegangen waren. Bei zwei Gästen im Herrenzimmer fand Albie sicher einen Vorwand, James zu bitten, sich um die Wünsche der Gentlemen zu kümmern, um sich zurückziehen.
Erneut unternahm er den verzweifelten Versuch, an etwas anderes zu denken, ohne Erfolg. Er konnte genauso gut aufgeben, sich seinen Fantasien hingeben und daran denken, wie er Albies geschmeidigen, eleganten und durchtrainierten Körper in den Armen halten würde.
Erneut entledigte er sich seines Bademantels und stieg ins Bassin. Jetzt war es beinahe voll, aber das Warmwasser war beinahe aufgebraucht. Er drehte den Wasserhahn ab, legte sich mit ausgebreiteten Armen auf den Rücken, schloss die Augen und sehnte sich, ohne an etwas anderes zu denken.
Als er die Augen wieder öffnete, stand Albie über ihn gebeugt am Beckenrand. Sverre hatte ihn gar nicht kommen hören.
Albie lächelte, sagte aber nichts. Er zog sein Zigarettenetui aus der Tasche und ließ es zu Boden fallen. Dann stieg er ruhig und selbstverständlich in seinen Kleidern die Treppe hinunter und watete auf Sverre zu. Das Wasser reichte ihm bis an die Brust. Er umarmte ihn, drückte ihn an sich und nahm seinen Kopf einen kurzen, schwindelerregenden Augenblick lang zwischen die Hände. Seit mehr als einem Jahr küssten sie sich zum ersten Mal wieder wild und leidenschaftlich. Sie taumelten eng umschlungen durchs Wasser, immer wieder im Kreis, ein Spiel, das sie früher gespielt hatten, allerdings noch nie in Frack und Lackschuhen.
Ihr Lachen war eine Befreiung. Sie lachten, konnten gar nicht aufhören, während sie unter gemeinsamen Anstrengungen Albie ein Kleidungsstück nach dem anderen auszogen und tropfnass auf den Beckenrand warfen, bis Albie endlich nackt war.
Sie liebten sich und spielten lange, auch noch lange, nachdem das Wasser für Albie eigentlich zu kalt geworden war, aber das schien ihm gar nicht aufzufallen.
Als die Kälte sie schließlich unerbittlich aus dem Bassin bibbernd ins selbe Bett trieb, schliefen sie bald eng umschlungen ein. Auch das war sehr lange her.
Am Morgen waren sie beide so verlegen, als wäre es das erste Mal gewesen.
Als sie im eigenen Esszimmer, der Bedienten wegen in Sonntagskleidung, frühstückten, versuchten sie erst über das Wetter oder andere gleichgültige Dinge zu sprechen, bis Sverre sich ein Herz fasste und sagte, dass es ihm vorkäme wie nach dem ersten Mal. Albie wurde sofort ernst.
»Das war es auch«, erwiderte er zögernd. »Es war das erste Mal in unserem zweiten Leben. Erinnerst du dich, als wir vor einigen Jahren auf dieser Brücke auf der Hardangervidda standen?«
»Ja, sehr gut. Die Aussicht war wunderbar.«
»Ja, das war sie. Und du hast dort sehr gewichtige Worte ausgesprochen. Bis dass der Tod uns scheidet . Ich war in diesem Augenblick so sprachlos, dass mir keine Erwiderung einfiel, was in dem Moment wahrscheinlich auch gut war. Angesichts der Dinge, die später geschehen sind und über die wir nie mehr zu sprechen brauchen. Ich schwöre es, Sverri. Jetzt leben wir in unserem zweiten Leben, bis dass der Tod uns scheidet. Okay?«
Sverre wollte sich gerade erheben, um Albie zu umarmen, besann sich dann aber blitzschnell eines anderen, nahm eine Serviette und tupfte sich die Augenwinkel ab, da gerade ein Küchenmädchen mit Bacon und gebratenen Würstchen eintrat.
Als sie in den kühlen, bewölkten Morgen traten, hatten sie das Gefühl, gereinigt und frisch verliebt zu sein. Beide waren überzeugt davon, wirklich etwas Neues zu beginnen. Das gemeinsame Leben war nicht mehr so unsicher wie vor und nach der langen Pause in Afrika. Jetzt konnten sie sorgenfrei die nahe und auch die fernere Zukunft planen.
Auch auf
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