Die Brueder
Manningham konnte das frühere Leben wieder aufgenommen werden, möglicherweise etwas stärker mechanisiert. Sie unternahmen einen Ausflug mit dem Automobil, statt wie früher über die Ländereien zu reiten. Sie wechselten sich beim Fahren ab und unterhielten sich über Motoren und Fahrtechnik. Albie hatte erst deutsche Automobile anschaffen wollen, da diese natürlich viel besser waren als die englischen. Aber das neue englische Unternehmen Rolls-Royce hatte den Gutsbesitzern ein besonders attraktives Angebot unterbreitet, das abzulehnen eine Dummheit gewesen wäre. Die beiden silbernen Fahrzeuge mit den roten Ledersitzen im Gainsborough-Stil hatten auch nicht viel mehr gekostet als ein besserer Landauer.
Im Fahrtwind – der Fahrersitz war offen – ließ es sich leichter atmen. Nichts schien mehr unmöglich, über alles ließ sich reden. Albie hatte bislang nicht damit heraus rücken wollen, dass er, um finanzielle und praktische Neue rungen durchzuführen, mindestens einen Monat auf dem Gut zubringen musste. Ebenso hatte Sverre verschwiegen, dass er die nächsten Monate gerne in Bloomsbury verbringen wollte, um die Gemälde seiner Afrikaserie fertigzustellen oder auch neu zu malen. Plötzlich waren sie sich sofort und mühelos einig. Sverre würde sein Material in das Atelier in der Ingenieursvilla bringen, dann konnten sie sich parallel an den hohen Künsten und der profanen Wirklichkeit abarbeiten.
Mit Letzterem meinte Albie die Verwaltung des Gutes. Dafür brauchte er einen Vertrauten an seiner Seite, vor dem er sich seiner Unsicherheit wegen nicht zu schämen brauchte und mit dem er schwierige Probleme erörtern konnte.
Erstaunt wandte Sverre ein, dass ein abgedankter Eisenbahningenieur und Kleckser bei agronomischen oder finanziellen Problemen wohl kaum eine große Hilfe wäre.
Doch, meinte Albie, denn die Probleme seien nicht technischer, sondern menschlicher Natur. Technische Fragen ließen sich rational mit dem Rechenschieber und einer Kalkulation lösen. Bei zwischenmenschlichen Fragen sei das etwas ganz anderes. Über diese könne er unmöglich mit seiner Mutter sprechen, mit seiner Großmutter Sophy noch viel weniger und am allerwenigsten mit dem Verwalter und dem Vorarbeiter.
Es ging um die überzähligen Bediensteten. Sowohl im Haushalt als auch in der Landwirtschaft waren inzwischen knapp siebzig Personen beschäftigt, aus rein wirtschaftlichem Aspekt dreißig zu viel. Es gab mehr Beschäftigte als Arbeit, was eine unvermeidliche Folge der Mechanisierung war.
Albies Mutter, von seiner Großmutter ganz zu schweigen, würde die Dimension des Problems nicht erfassen. Unverzüglich und ohne zu zögern, würde sie so viele Leute entlassen wie nötig. Sie hatten schon immer Dienstboten entlassen, mal weil es wirklich nötig war, nachdem jemand etwas stibitzt oder gestohlen hatte, dann wieder aus dem unbarmherzigeren Grund, dass eine Magd schwanger geworden war. Und in seltenen Fällen weil, zu Recht oder Unrecht, vermutet einer der Gentlemen mit einem der aufwartenden jungen Dinger zu intim geworden war. Eine weinende Magd wegzuschicken war emotional so aufwendig, wie sich die Nase zu pudern. Nicht etwa weil sie besonders grausam oder gefühlskalt gewesen wären, das waren sie nicht, sondern weil eine untergegangene Zeit sie geprägt hatte.
Mit dem Verwalter, dem Buchhalter und ähnlichen Bediensteten konnte er solche Angelegenheiten nicht besprechen. Sie waren vom Geist der viktorianischen Zeit in der Hinsicht geprägt, dass für sie ein Arbeiter einen Produktionsfaktor darstellte, der ein gewisses Pensum zu einem gewissen Preis zu leisten hatte. Für sie ging es ausschließlich um den Ertrag.
Mutter Elizabeth und Großmutter Sophy hatten überhaupt keinen Einblick in die Finanzen. Für sie war Geld so selbstverständlich, als stünde im Keller eine Druckmaschine für Banknoten. Sie hatten beide keinerlei Verständnis dafür aufgebracht, dass Albie das palastähnliche Haus in Mayfair verkauft hatte, obwohl Manningham House nur so überhaupt wieder auf die Füße gekommen war. Er hatte sie damit getröstet, dass ihnen stattdessen eine Suite im Hotel Coburg, dem besten Etablissement Londons, zur Verfügung stand. Das hatten sie für eine höchst standesgemäße Extravaganz gehalten und gar nicht begriffen, dass die Suite inklusive Champagner und Dinnerparty nur ein Fünftel so viel kostete wie der Unterhalt des Hauses in Mayfair.
Kurz gesagt, Albie benötigte moralische
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