Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
mustert Ash durch die getönten Scheiben den Parkplatz vor dem Motel von Clarksdale. Als ihn sein Fahrer weckte, hatte er festgestellt, dass es bereits Tag war. Sie waren die ganze Nacht hindurch auf der Fernstraße 55 in Richtung Memphis gefahren und dann über aufgeweichte Nebenstraßen dem Mississippi gefolgt. Alles vergebens. Ash hatte sich gestreckt und aufmerksam die Regionalnachrichten im Autoradio
angehört. Darin hieß es unter anderem, dass Hornissen ein Motel am Ortseingang von Clarksdale heimgesucht hätten. Tausende von ihnen seien durch die Luftkanäle der Klimaanlage in einen der Räume gelangt und hätten sich dort gesammelt. Mit einem Lächeln hatte Ash dem Fahrer auf die Schulter getippt und gesagt: »Los, da fahren wir hin.«
Auf dem Parkplatz des Motels von Clarksdale stehen nicht nur Rettungsfahrzeuge, sondern auch schon Übertragungswagen des Regionalfernsehens. Von ferne blickt Ash über die dort versammelte Menschenmenge. Die meisten der Gäste, viele noch im Schlafanzug, sind offenbar von der anderen Gebäudeseite gekommen. Mit weit ausholenden Gebärden unterstreichen sie ihre Worte, während sie den Polizeibeamten zum hundertsten Mal erklären, wie die Invasion der Insekten begonnen hat. Die Verletzten, insgesamt ein rundes Dutzend, hat man ins örtliche Krankenhaus geschafft. Ein Stück weiter liegen zwei Tote unter weißen Tüchern. Ash beobachtet die Arbeit des Trupps, der darangegangen ist, die Räume auszuräuchern und die Insekten mit feinmaschigen Netzen einzufangen. Den Zugang zum am stärksten befallenen Zimmer hat man mit Brettern vernagelt. Ash sieht zu, wie die Männer von außen Gift in die Klimaanlage sprühen. Eine lange Spirale von Hornissen windet sich heraus, dann fallen sie dicht an dicht auf die Windschutzscheiben der geparkten Autos, was aufbrandendes Geschrei auslöst. Ash unterdrückt ein Gähnen und bedeutet seinem Fahrer, den Motor nicht abzustellen. Dann steigt er aus und sendet einen telepathischen Impuls an die Gäste, die auf dem Parkplatz stehen. Eine Fülle von Gedanken antwortet ihm: Fetzen von Sendungen des Kabelfernsehens, klebrige Umarmungen, ein Paar mit einem schwarzen Kind, die Hornissen …
Ash geht zum Empfang des Motels, wo der Geschäftsführer
gerade ein Interview gibt, das er gestenreich untermalt. Ein schlichtes Gemüt. Ash seufzt. Mit denen hat man es immer am schwersten. Der Reporter geht hinaus. Ash schließt die Tür hinter ihm und lächelt dem Geschäftsführer zu.
»Sind Sie Journalist?«
»Ja.«
»Für’nen Journalisten sehen Sie aber komisch aus. Eher wie ein bezahlter Killer.«
»Ja.«
»Für welche Zeitung arbeiten Sie?«
Ash verzieht das Gesicht. Er ist es nicht mehr gewohnt, sich mit Worten zu äußern. Er sendet einen kurzen telepathischen Impuls aus, woraufhin dem Mann einige Tropfen Blut aus der Nase rinnen.
»Na so was! Jetzt krieg ich auch noch Nasenbluten.«
»Ja.«
Beide Hände auf die Theke gestützt, senkt Ash seinen Blick tief in die Augen des Mannes, der sich das Blut mit dem Handrücken abwischt.
»Ich muss Ihnen fünf Fragen stellen.«
»Ich höre.«
»Erstens: In welchem Zimmer hat das angefangen?«
»Das hätten Sie sehen sollen! Tausende von diesen Mistviechern in meinem Motel. Soll man das für möglich halten?«
Erneut läuft ihm Blut aus der Nase.
»Verdammter Mist! Wieso blute ich plötzlich so?«
»Das ist ein Spiel: Wenn Sie richtig antworten, bluten Sie nicht. Wenn Sie falsch antworten, bluten Sie. Soll ich die Frage noch mal stellen?«
»Nein, nein. Zimmer 21 A.«
»Zweitens: Wer hat das Zimmer reserviert, und wann war das?«
Der Mann sieht in sein Meldebuch, wobei er darauf achtet, dass kein Blut auf die Seiten tropft.
»Ein Herr Hicks.«
»Ein Herr X?«
»Nein, Hicks.«
»Das ist Jacke wie Hose. Wann?«
»Gestern Abend um neun.«
»Drittens: War er allein?«
»Nein. Er hat ein Doppelbett und eine Klappliege für ein Kind verlangt.«
»Haben Sie gesehen, wer bei ihm war?«
»Ja, von Weitem: eine Frau und ein Kind, die auf dem Parkplatz warteten.«
»Junge oder Mädchen?«
»Was für eine Rolle spielt das? Aua! Hören Sie doch damit auf …«
»Viertens: Sind die noch hier?«
»Um das sagen zu können, müssen wir warten, bis alle Hornissen tot sind, damit man das Zimmer wieder öffnen kann. Falls die noch da sind, sind sie aber sicher tot.«
»Dann anders herum gefragt: Haben Sie nachgesehen, ob das Auto von den Leuten noch da ist?«
»Hätte ich das tun müssen?«
Ash
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