Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
aus einem der Nachbarzimmer ein Schmerzensschrei ertönt. Langsam dreht sie sich zu Walls um. »Gibt es da etwa auch welche?«
Der Archäologe zuckt die Achseln. Immer mehr Insekten lösen sich von den Wänden und der Zimmerdecke. Maria wagt sich in den Gang. Auch dort fliegen Hornissen umher. Walls folgt ihr und schließt die Tür hinter sich. Weitere Schreie dringen aus den Zimmern, an denen sie vorüberkommen. Soeben hat Maria das Gebäude durch den Notausgang verlassen und geht die Feuertreppe zum Parkplatz hinab. Walls holt sie in dem Augenblick ein, da sie Holly auf die Rückbank bugsiert.
»Wir können uns nicht einfach so davonstehlen.«
»Nein? Und was willst du dem Inhaber dieses Luxushotels sagen? Dass unser Sohn Keeney in Wirklichkeit ein telepathisch begabtes Mädchen ist, das aus seinem Zimmer ein riesiges Wespen- und Hornissennest gemacht hat, weil die Lehrerin sie in die Ecke gestellt hat?«
»Was heißt ›telepathisch‹? Ist das eine Krankheit, von der einem die Muskeln schlapp werden?«
»Holly, nicht jetzt.«
Maria steigt ein und dreht den Zündschlüssel um. Gordon setzt sich neben sie und schlägt die Tür zu. Der Wagen fährt an. Maria betätigt den Blinker, fährt auf die leere Straße und nimmt Kurs auf Clarksdale.
»Auf jeden Fall sieht das verdächtig aus.«
»Verdächtig? Gordie, du findest doch immer die richtigen Worte.«
4
Müßig betrachtet Burgh Kassam durch die Scheiben des Fernbusses die Ausläufer der Wasatch-Berge. Er sitzt jetzt vorn und hat auf dem Klapptischchen vor sich einen riesigen Hamburger und einen großen Pappbecher mit Limonade, die er durch einen Halm schlürft. In seinem neuen Körper fühlt er sich wie zu Hause – um die Mitte herum ein wenig füllig, sodass der Hosenbund spannt, aber insgesamt gut. Seine neue Hülle heißt Troy Chandler. Der Mann lebt in Chicago und verkauft Badezimmer-Einrichtungen. Da er Angst vor dem Fliegen hat, fährt er mit Überlandbussen durch den gesamten Westen, um seine Kunden zu besuchen. Er hat sich ausgerechnet, dass das günstiger kommt, als einen Mietwagen zu benutzen und in Motels zu übernachten. Troy berechnet alles haarklein.
Das geht so weit, dass er seine Limonade ohne Eiswürfel bestellt hat, weil er sonst weniger für das Geld bekäme. Dieser Hang zur Berechnung trägt dazu bei, dass Troys Hülle Kassam gefällt. Noch enthält sein durch die chemischen Verbindungen zur Hälfte gelöschtes Gedächtnis einige Erinnerungen: Bilder eines hübschen Hauses in einem Vorort von Chicago, von zwei übergewichtigen Kindern und einer hölzernen Schaukel in einem schlecht gepflegten Garten. Gartenarbeit ist Troy zuwider. Er hat Kunstrasen ausrollen und Beete mit Kunststoffblumen anlegen lassen, weil das weniger Arbeit macht. Obwohl die garantiert nie welkende Begonie der Kategorie V drei Dollar fünfzig pro Stück kostet, kommt ihn das immer noch günstiger, als wenn er Geld für Dünger und Gießwasser aufwenden müsste.
In Troys kläglichen Erinnerungsresten taucht auch eine unansehnliche korpulente Frau namens Wendy auf. Soweit sich Troy erinnern kann, war sie immer schlecht gelaunt, weil sie schon seit Jahren Nierensteine und Ischias hat. Doch das ist nicht der einzige Grund. Wendy ist auch schlecht gelaunt, weil sie erstens unansehnlich und korpulent ist und zweitens gern einen anderen als Troy geheiratet hätte. Einen tollen Mann wie Mel Gibson oder Robert Redford, aber doch keinen Verkäufer von Badezimmer-Einrichtungen. Troy liebt Wendy nach wie vor, etwa so wie eine Pizza mit Peperoni oder einen Luftverbesserer mit Lavendelgeruch für die Toilette. Er liebt sie aus reiner Gewohnheit, weil sie zu seinem Leben gehört.
Jedes Mal, wenn er zu einer Geschäftsreise aufbricht, fragt sich Wendy, ob er wohl die Gelegenheit nutzt, sich eine zierliche Hure mit kleinen Brüsten zu leisten, mit der er all die Sauereien anstellen kann, zu denen sie nicht bereit ist. Kassam lächelt, als er merkt, wie schlecht Wendy ihren Mann kennt. Was Troy gefällt, sind schwangere junge
Frauen. Nein, es ist noch etwas komplizierter: Es müssen brünette, sehr schöne und sehr zierliche junge Frauen sein, die mindestens im sechsten Monat sind. Schon seit Jahren denkt Troy an nichts anderes als den wohlgerundeten Bauch an einem vollkommenen Körper, und nach einer solchen Frau sucht er schon lange. Er hat sich sogar unter falschen Namen auf Websites künftiger Muttis eingeschrieben. Den letzten Schritt hat er noch nicht getan, aber er ist auf
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