Die Brut
waren. Tissenbrinck wird nervös.«
Jetzt sprang Tessa in die Höhe. »Das kann er nicht machen!«, rief sie. »Es ist im Augenblick generell eine schwierige Zeit. Das hast du selbst gesagt.«
Zum zweiten Mal öffnete sich die Faust über dem Papierkorb.
Tessa wollte zu Attila hinstürzen, ihn am Kragen seines Hemdes packen, ihn schütteln, bis er ihr versichert hatte, dass es nur ein Scherz war, ein schlechter Scherz – und wenn sie sich aufführte wie Anna Magnani in
Mamma Roma
–, da ertönte ein Schlag. Und Millisekunden später ein Gebrüll, das jeden Konflikt zwischen Moderatorin und Produzent in nichts auflöste.
Victor lag neben dem Couchtisch, zusammengekrümmt. Im ersten Moment glaubte Tessa, er habe ein Glas Rotwein – alten, schweren Rotwein – vom Tisch gestoßen. Dann wurde ihr klar, dass kein Wein so dickflüssig sein konnte wie das, was in einem rasch wachsenden Fluss das Gesicht ihres Kindes überströmte.
9
Die Pantherin war in der Hitze des Frühsommers gestorben. Unbeirrbar hatte sich der Krebs durch ihre Lymphknoten gefressen, bis Nualas Körper den Kampf aufgegeben und kapituliert hatte.
Tessa legte die Zeitung beiseite und trank von dem ungesüßten Eistee, den sie vor zehn Minuten aus dem Kühlschrank geholt hatte. Die Eiswürfel waren fast geschmolzen. Sie drückte das schwitzende Glas gegen ihre Stirn. Es war sehr still in der Wohnung.
Sie hätte Nuala noch einmal besuchen sollen. Aber Attilas Androhung,
Auf der Couch
könne zur Sommerpause eingestellt werden, hatte sie alles andere vergessen lassen. Sie hatte sich in den letzten Wochen vorbereitet wie seit langem nicht mehr, war in den Sendungen absolut konzentriert gewesen, charmant, geistreich. Dennoch waren die Quoten nicht wieder gestiegen.
Mit einem leisen Knall setzte Tessa das Glas auf der Schreibtischplatte ab. Die Schiebetüren zur Dachterrasse waren alle geöffnet. Eine kaum spürbare Brise wehte herein. Sie ging ein paar Schritte nach draußen und steckte sich eine Zigarette an.
Die verdammte Hitze war schuld. Die Leute lagen im Park, nicht vor dem Fernseher. Auch nachts sanken die Thermometer kaum unter fünfundzwanzig Grad. Die Meteorologen lieferten sich Erklärungsduelle, ob das Wetter eine normale Ausnahme oder der Anfang eines großen Klimawechsels sei. In der Stadt liefen Tag und Nacht die Duschen, das Grundwasser war bereits auf einen bedrohlichen Spiegel gesunken. Die Stadtverwaltung hatte erwogen, wenigstens das nächtliche Duschen zu verbieten.
Tessa genoss die Dunkelheit. Die Hässlichkeit der Stadt hatte mit jedem Strich auf dem Thermometer zugenommen. Die Straße hatte im Kampf gegen die verfrühte Hitze kapituliert. Die Männer hörten auf, Hemd und Krawatte zu tragen. Frauen schminkten sich nicht mehr. Kinder badeten nackt in den wenigen Springbrunnen, die nicht abgestellt worden waren. Die Arbeitslosigkeit würde demnächst die Fünf-Millionen-Grenze überschreiten.
Jetzt erst fiel Tessa auf, dass Sebastian die Teakholzmöbel aus dem Keller zurück auf die Dachterrasse gebracht hatte. Er musste es am letzten Wochenende getan haben. Sie rückte einen Liegestuhl zurecht und streckte sich aus. Sebastian hatte vorhin angerufen, um ihr zu sagen, dass der Produzent ihm doch noch zwei Drehtage genehmigt hatte. Er würde dieses Wochenende nicht nach Hause kommen. Es tat ihm Leid, er versprach, dass es das letzte Mal war, dass er sie so lange im Stich ließ. Er war sicher, sie verstand, dass er die Chance nutzen musste. Das Einzige, worauf er sich wirklich freute, war wieder bei ihnen zu sein. Tessa sollte Victor einen dicken Kuss geben. Zum Schluss hatte er ihr Glück gewünscht für morgen. Und Feli ließ grüßen.
Tessa drückte die Zigarette auf dem Blech, das die Terrassenbrüstung bedeckte, aus. Es war nicht so schlimm, dass sie wieder mit dem Rauchen begonnen hatte. Nur eine Zigarette nachts. Ab und zu. Sie schnippte den Stummel in die Tiefe und ging ins Zimmer zurück.
Morgen entschied sich, ob es
Auf der Couch
auch im Herbst noch geben würde.
Eins Komma fünf Millionen
, hatte Tissenbrinck gesagt.
Die müsst ihr schaffen, sonst ist Schluss
.
Sie würden es hinkriegen. Lange hatten sie in der Redaktion darüber gestritten, wen sie einladen sollten – Deutschlands beliebtesten Meteorologen?
Der ist doch in jeder Talkshow!
Die Schauspielerin, die es bis nach Hollywood gebracht hatte?
Die ist fad wie drei Wochen altes Toastbrot
–, bis sie sich schließlich auf den Wirtschaftsminister geeinigt
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