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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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…«
    Noch einmal versuchte sie, ihm den Schnuller in den Mund zu schieben – die magischen drei »S«: Singen, Schaukeln, Saugen – keine Chance.
    »Zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken

«
    Sie brüllte jetzt mehr, als sie sang.
    »Zweie, die mich weisen zu Himmels-Paradeisen.«
    Sie war so sicher gewesen, dass sich nur die Mailbox melden würde, dass sie nicht sofort begriff, dass Sebastian selbst es war, der antwortete.
    »Tessa? Hallo?«
    »Hallo«, sagte sie.
    »Hallo, du.«
    »Bist du noch am Set?«
    »Ja, aber wir haben gerade Schluss gemacht. In einer halben Stunde bin ich im Hotel. Wollen wir dann telefonieren?«
    Sie hörte, wie in seinem Hintergrund etwas Schweres umstürzte. Ein paar Männerstimmen riefen Unverständliches. Irgendwo surrte ein Generator oder eine elektrische Winde.
    »Sebastian, ich kann nicht mehr«, sagte sie leise. »Victor schreit schon den ganzen Abend. Und egal, was ich ihm gegeben habe, er wollte nichts essen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Hast du ihn ins Bett gebracht? Ich höre gar nichts.«
    Tessa lauschte. Victor hatte tatsächlich aufgehört zu schreien.
    »Eben hat er noch geschrien.«
    »Hauptsache ist doch, dass er jetzt aufgehört hat.«
    Sie machte eine Pause. »Du glaubst mir nicht.«
    »Wie?«
    »Du hältst mich für hysterisch. Du glaubst, ich bilde mir das alles nur ein.«
    »Das ist nicht wahr. Ich weiß, welche Belastung es für dich ist, jetzt so viel mit Victor allein zu sein. Ich verspreche dir, wenn dieser Film im Kasten ist, nehme ich mir einen ganzen Monat frei.«
    »Hattet ihr einen guten Drehtag?« Ihr Schädel pochte. Die Stille nach dem großen Lärm erschien ihr irreal. Sie bewegte sich in einem Tunnel. In einem weißen Tunnel, dessen Wände sie nicht ertasten konnte.
    »Ja, war ganz okay. Die Szene mit Feli auf dem Schrottplatz ist ziemlich schön geworden, glaub ich.«
    »Das ist gut.«
    »Du solltest ins Bett gehen jetzt. Wenn du merkst, dass du schlafen kannst, mach dein Handy aus. Ansonsten ruf ich dich in einer halben Stunde noch mal an, okay?«
    »Okay.«
    »Und wenn unser kleiner Macker wieder zu schreien anfängt, dann holst du ihn ans Telefon, und ich halte ihm eine Standpauke, dass er seine arme Mutter nicht so nerven soll.«
    »Mach ich.« Sie war zu müde, um zu lächeln.
    »Ich vermiss dich.«
    »Ich dich auch.«
    Tessa beendete das Gespräch. Victor begann zu schreien.
    Attila, was soll das?!«
    Die Zeitung lag zwischen ihnen auf dem Chef-Schreibtisch wie eine Kriegserklärung.
    Ben war der Erste gewesen. Er hatte Tessa früh am Morgen angerufen, hatte ihr geraten, den Unsinn zu ignorieren. Zehn Minuten hatte sie vor sich hingestarrt, das Telefon in der Hand, und zu begreifen versucht, was sie eben gehört hatte. Dann hatte sie Victor geschnappt, ihn in den Kindersitz gepackt und war losgefahren. Ihr üblicher Zeitungskiosk lag nur wenige hundert Meter von der Wohnung entfernt, mit quietschenden Reifen ließ sie ihn links liegen, wollte eine Tankstelle finden, bei der sie noch nie getankt hatte.
    Tessa Simon: Zerbricht sie an der Belastung?
    Die Zeile schlug ihr ins Gesicht, bevor sie den Motor abgestellt hatte. Einen starren Augenblick blieb sie sitzen, schweißige Hände, die am Lenkrad klebten.
    Lass es sein! Ben hat Recht. Ignorier den Quatsch!
    Dann stiegen ihre Füße aus, trugen sie in den Tankstellenshop, ihre Hände griffen nach einer der hoch aufgetürmten Zeitungen, ihre Finger fischten eine Münze aus ihrem Portemonnaie, ihr Mund lächelte und sagte danke, als der Mann hinter dem Tresen ihr das Wechselgeld zurückgab. Mit einem Puls von zweihundert parkte sie ihren Mercedes hinter der Waschanlage, über ihr der donnernde Verkehr der Stadtautobahn.
    Und dann las sie. Einmal. Zweimal. Dreimal. Bis die Buchstaben vor ihren Augen zu Pechschwaden verschwommen, sie schleuderte die Zeitung auf die Rückbank, Victor krähte, als freute er sich über ein neues Spielzeug.
    Ziellos raste sie durch die Stadt, die plötzlich nur noch aus Zeitungsläden, Zeitungskiosken und Zeitungsständern bestand. An jeder Ampel lauerte ihr ein Verkäufer in weiß-roter Windjacke auf, schwenkte die Zeitung wie der Torrero seine Muleta. Tapfer hielt sie den Blick nach vorn gerichtet, immer geradeaus –
Ihr kriegt mich nicht! Egal, was ihr schreibt, ich lasse mich nicht von der Straße vertreiben!
–, bis sie sich in der Tiefgarage ihrer Produktionsfirma wiedergefunden hatte.
    »Attila, was soll das?«, fragte Tessa jetzt noch

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