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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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drei, vier Schritten wieder einzuholen, wie sie es in den letzten Monaten so gut gelernt hatte. Im Unterholz raschelte ein Vogel. Der Himmel über dem Blätterdach färbte sich langsam blau.
    Bleib stehen. Worauf wartest du? Tu es
.
    Sie war sicher, dass niemand sie gesehen hatte. In der Tiefgarage nicht. Nicht, als sie den Mercedes am üblichen Platz geparkt, den Babyjogger aus dem Kofferraum geholt und losgelaufen war. Der Mann im vorderen Teil des Parks war zu weit entfernt gewesen, um Genaueres erkannt zu haben. Würde er sich jemals bei der Polizei melden, konnte er nur aussagen, dass er eine Frau mit Babyjogger gesehen hatte. Sie schaute sich um.
    Kehr um. Noch kannst du zurück
.
    Ihre Augen suchten Wald und Wegrand ab und fanden nichts. Dürres Geäst. Zweiglein. Eine leere Cola-Flasche … Endlich. Sie zwang sich stehen zu bleiben. Obwohl die Luft warm war, glaubte sie zu dampfen. Und noch immer war niemand zu sehen. Tessa beugte sich tief hinunter und fuhr mit den Fingerspitzen durch den Staub. Es war gut, dass der Boden so trocken war. Die Polizei würde keine frischen Fußabdrücke finden. Die Polizei würde überhaupt keine Spuren finden. Sie bückte sich nach dem schweren Ast, der am Wegrand lag. Sie hatte Mühe, ihn zu umfassen. Sie musste kräftig zuschlagen. Einmal. In einer Sendung über amerikanische Rechtsmediziner hatte sie gesehen, wie diese eine Frau, die angeblich von Schwarzen mit einem Messer attackiert worden war, der Selbstverletzung überführt hatten. Weil die Frau sich nicht getraut hatte, sich das Messer auf Anhieb in die Wange zu stoßen, hatten die Rechtsmediziner zu viele vorsichtige Ritzer gefunden, die gegen einen fremden Angriff sprachen. Aber sie musste den Winkel ausprobieren, die Richtung. Tessa hob den Ast und ließ ihn leicht gegen ihren Hinterkopf prallen. Ob sie genügend Kraft für einen solchen Schlag hatte?
    Tessa schaute sich um. Niemand. Sie betrachtete den Ast, den ihre Finger umschlossen hielten. Und plötzlich warf sie ihn zurück in den Wald, als habe sie sich an ihm verbrannt. Ihre Fingerabdrücke! DNA-Spuren! Wie hatte sie so etwas Einfaches vergessen können. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie nach dem Babyjogger griff und weiterlief.
    Der Fehler war unverzeihlich. Jede Sekunde konnte sie einem Jogger oder Hundebesitzer begegnen, und alles war vorbei. Wer wusste, wie schnell sie einen zweiten Ast fand, der stark genug war. Ihr Herz beruhigte sich nur langsam. Sie durfte keine Fehler mehr machen. Nie mehr. Vielleicht wäre die Rinde des Astes zu rau gewesen. Vielleicht konnte man auf einem solchen Ast gar keine Fingerabdrücke finden. Und DNA-Spuren gab es doch nur, wenn man Haare oder Speichel oder ganze Hautfetzen hinterließ? Noch vor einer Stunde hatte alles so einfach ausgesehen. Sie wusste nichts über die Methoden der Polizei. Tessa spürte einen Druck in der Kehle, der Halsschmerzen ankündigte.
    Beinahe hätte sie den langen, geraden Stock übersehen, der am Wegrand lag. Sie blieb stehen und holte Luft. Der Stock war ein Geschenk. Ein Geschenk, das irgendein Hund hier für sie abgelegt hatte. Aber was nützte ein Geschenk, wenn sie es nicht anfassen durfte? Sie hätte Handschuhe mitnehmen müssen. Tessa lachte auf. Handschuhe. Eine großartige Idee. Die Polizei hätte sicher gern gehört, warum sie bei fünfundzwanzig Grad mit Handschuhen joggen ging.
    Sie schaute sich um. Niemand.
    Ihr T-Shirt. Wenn sie tief genug in die Knie ging, konnte sie den Stock durch den Saum ihres T-Shirts fassen. Aber wie sollte sie damit weit genug über ihrem Kopf ausholen? Es ging nicht.
    Weitermachen. Du musst klar denken. Du schaffst es.
    Aus dem Tragenetz hinten am Babyjogger leuchtete etwas Blaues hervor. Die Taschentücher. Natürlich! Warum hatte sie nicht gleich daran gedacht. Vorsichtig, als wäre der Stock eine Halogenlampe, die durch Hautfett beschädigt werden könnte, umfasste sie ihn mit dem Taschentuch, hob ihn in die Höhe.
    Jetzt. Jetzt. Trau dich –
    Halt!
    Ihr Hals brannte. Sie schaute nach unten in den Staub. Was, wenn die Polizei feststellen konnte, dass sie hier an dieser Stelle stehen geblieben war? Der Überfall musste passieren, während sie lief – ihre Schuhe auf dem Weg knirschten, ihr Herz pumpte. Wenn sie nicht lief, würde die Polizei sie fragen, warum sie den Angreifer nicht kommen gehört hatte. Warum er sie hatte von hinten erwischen können?
    Langsam trabte sie los. Sie ließ den Stock ein paar Mal durch die Luft sausen. Mit der

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