Die Brut
little girl …«
Eine kleine Gruppe kreischte den Sängern Mut zu und reckte Plakate in die Höhe. Plakate, auf denen eine wunderschöne, junge, dunkelhäutige Frau zu sehen war. Nuala. Die schwarze Pantherin.
Der
deutsche Popstar des letzten Jahres. Tessas heutiger Gast auf der Couch.
Attila fasste sie am Oberarm und zeigte nach oben. »Was sagst du zu dem Transparent? Ist doch großartig geworden.«
»Wenn ihr es irgendwann mal entrollt bekommt, finde ich es sicher auch großartig.«
Attila legte den Arm um sie und lachte wieder. »Komm. Es ist scheißkalt hier draußen.«
»Nuala. Wie fühlen Sie sich heute?«
»Oh, danke. Phantastisch.« Die junge Frau räkelte sich auf der Couch, wie es sonst nur Kurtisanen auf Gemälden des 19. Jahrhunderts taten.
»Das ist ein super Publikum heute Abend.« Sie machte im Liegen einen halben Shimmy und winkte mit den Fingern in den Saal. Einige Leute klatschten. Zurückhaltend.
Tessa musste sich zusammenreißen, dass sie nicht grinste. Dort saßen hundertfünfzig Menschen, die sich seit Wochen darauf freuten, beim Neustart
ihrer
Sendung dabei sein zu dürfen. Erwachsene Menschen, denen egal war, ob auf der Couch der Bundeskanzler, ein Popsternchen oder ein halber Rettich lag.
»Sie haben im letzten Jahr einen sensationellen Aufstieg erlebt. Vor einem Jahr noch waren Sie Nebendarstellerin in einer Vorabendserie. Im letzten Monat wurden Sie von einer großen deutschen Popzeitung zur
Newcomerin
des Jahres gewählt. Sie haben über eine Million Platten verkauft, Tausende von Fans jubeln Ihnen bei Ihren Konzerten zu. Macht Ihnen das nicht manchmal Angst?«
»Angst?« Nuala sprach das Wort aus, als habe sie es noch nie gehört. »Vor wem sollte ich Angst haben. Ich liebe meine Fans.« Wieder zeigte sie dem Publikum ihre überweißen Zähne.
»Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, dass das alles zu schnell gegangen ist?«
»Oh no!«
Nuala machte dieselbe neckische Geste mit dem Zeigefinger, die sie jedesmal in ihren Videos machte, wenn die beiden Silben vorkamen. Ihre Stimme wurde ernst. »Es ist ja nicht so plötzlich gekommen. Ich habe lange und hart gearbeitet. Ich nehme Gesangsunterricht, seit ich vierzehn bin, mit dem Tanzen habe ich schon als Kind angefangen. Ich arbeite hart. Sehr hart.«
»Aber trotzdem. Wachen Sie nicht manchmal nachts auf und denken: Wenn ich morgen früh aufstehe, ist alles vorbei?«
Vielleicht bildete sie es sich nur ein. Aber Tessa glaubte gesehen zu haben, wie Nuala einen Moment die Augen schloss und sich selbst in den Oberschenkel zwickte.
»Ich bin sehr religiös. Ich glaube an Gott. Gott wird mir den Weg zeigen, den er für mich vorgesehen hat.«
»Sie sind auf Jamaika geboren. Ihre Mutter ist mit Ihnen und Ihren beiden Schwestern vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen. Wo fühlen Sie sich zu Hause?«
»Ich bin überall zu Hause, wo ich spüre, dass die Menschen mich lieben. Und deshalb liebe ich Deutschland.« Sie beugte sich leicht vor und legte eine Hand schirmend an den Mund, als solle Tessa das, was sie nun zu sagen hatte, nicht hören. »Außer im Winter.
Oh God
, ich hasse diesen Winter.«
Einige Frauen im Publikum lachten.
Nuala lehnte sich wieder zurück. »Natürlich spüre ich eine sehr enge Bindung zu Jamaika, und mein großer, großer Wunsch ist, auch dort einmal auftreten zu dürfen. Aber Deutschland ist meine Heimat.«
»In den Zeitungen ist zu lesen, dass Sie Ihren Vater niemals gekannt haben. Jetzt haben Sie einen Song geschrieben, in dem
daddy’s little girl
die große Liebe sucht. Schmerzt es Sie, wenn Sie an Ihren Vater denken?«
Es war das erste Mal, dass die Pantherin nicht sofort antwortete. »Ich habe eine wunderbare Mutter, die beste Mutter der Welt, und ich habe zwei phantastische Schwestern, die mich überall unterstützen. Ich weiß, die Leute stellen immer wieder solche Fragen, aber wir sind eine
family
.« Das letzte Wort sprach die Pantherin in gedehntem Englisch aus. »Eine vollständige, komplette
family
, die mich sehr, sehr glücklich macht.«
Tessa hatte die Mutter und die beiden Schwestern vorhin kurz begrüßt. Alle drei waren stark übergewichtig, die offenbar jüngere der beiden Schwestern, vielleicht sechzehn oder siebzehn, hatte im Gästeaufenthaltsraum gesessen, einen Walkman auf den Ohren, in den Händen einen Gameboy. Die ältere hatte sich beschwert, dass es keine
Cola light
gab. Als Tessa kurz vor der Sendung noch einmal in die Maske gegangen war, war Nualas Mutter gerade dabei
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