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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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erinnern, wie es sich angefühlt hatte, mit dem eigenen Auto zur Sendung zu fahren.
    Ihr neuer oberster Arbeitgeber war ein Mann von großer Freundlichkeit. Nur dass man nicht sicher sein konnte, ob die Freundlichkeit jemals einem anderen galt als ihm selbst. Sie musste an ihren alten Chef denken, Paul Haverkamp, und den selbstverfassten Gedichtband, den er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, und der jetzt im Regal neben dem stand, den er ihr im vorletzten Jahr geschenkt hatte.
Von Tränen und Träumen
. Oder so ähnlich.
Du spielst jetzt in einer anderen Liga,
hatte Attila ihr nach dem Treffen mit Tissenbrinck gesagt,
da ist Schluss mit Kuschel.
    Tessas Gedanken wurden davon unterbrochen, dass der Fahrer scharf bremste und sie nach vorn geschleudert wurde.
    »Verdammt«, stieß sie im selben Moment hervor, in dem der Fahrer »Scheiße, Köter, bist du lebensmüde?« fluchte.
    Er warf einen besorgten Blick in den Rückspiegel. »Haben Sie sich was getan?«
    »Nein.« Tessas rechte Hand war noch immer gegen die Rücklehne des Beifahrersitzes gestemmt. Ihre Linke hatte sich schützend auf den Bauch gelegt.
    »Entschuldigen Sie, aber dieser verdammte Köter war wirklich nicht zu sehen.«
    »Ist schon gut.«
    Wütend griff Tessa nach dem Gurt, der rechts über ihrer Schulter aus der Rückenlehne kam. Sie schnallte sich nie an, wenn sie hinten saß. Der Gurt klemmte in der Verankerung und spannte über ihrem Bauch. Seit Beginn ihrer Schwangerschaft hatte sie fast sieben Kilo zugenommen. Fast ebenso viele Moderationshonorare hatte sie investieren müssen, um sich bei einer Schneiderin eine blümchen- und entenfreie Schwangerschaftsgarderobe machen zu lassen. Sie freute sich auf die dunkelblaue Nadelstreifen-Tunika mit passender Hose, die sie nachher anziehen würde. Wenn sie saß, konnte man glauben, sie hätte noch immer keinen Bauch.
    Zehn Minuten später erreichten sie die Einfahrt zu dem großen Gelände, in dem nicht nur
Kanal Eins
die meisten seiner Sendungen produzierte. Zwei private Kanäle und einige Filmproduktionsfirmen hatten hier ebenfalls ihre Studios. Ein gigantisches Plakat für einen Spielfilm, der in diesem Herbst gedreht worden war, hing neben der Einfahrt. Sie fuhren an dem größten der Gebäude vorbei, aus dem am Abend eine Spielshow übertragen wurde. Ein roter Teppich führte zum Eingang. Rechts und links der Absperrgitter, die den Teppich säumten, standen vielleicht dreißig frierende Menschen, mit Kameras und dicken Lederalben in der Hand, und warteten auf einen Promi, dessen Autogramm und Foto sie brauchten, um heute Nacht glücklich zu sein. Ungeduldig schaute Tessa aus dem Fenster.
Zwei Millionen sollten wir schaffen
, hatte Roger Tissenbrinck gesagt.
Eins Komma fünf minimum
.
    Der Fahrer hielt. Das Gebäude war viel kleiner und flacher als das Studio, aus dem die Spielshow übertragen wurde. Oben links war in weißer Farbe eine Sieben aufgemalt. Studio Sieben. Ihre neue Heimat. Ihr ganz privates Kollosseum. Zwei Arbeiter waren gerade dabei, ein Transparent neben der Sieben zu entrollen. In dem Streifen, der bereits zu sehen war, entdeckte Tessa ihren frisch getönten Haaransatz.
    Der Fahrer kam nach hinten, um ihr die Tür zu öffnen. Vorsichtig setzte sie den Fuß auf den schlecht geräumten Asphalt. Gut, dass sie ihre Schuhe für die Sendung noch in der Tasche hatte. Sie schaute zum nahen Eingang des Gebäudes.
    Es gab keinen Teppich. Aber mehrere Absperrgitter. Und hinter den Gittern knäuelten sich mindestens hundert Teenies, mit weißen und schwarzen Wollschals und –mützen dick vermummt. Tessa erinnerten sie an die brütenden Pinguinkolonien im Schneesturm, die sie an Weihnachten in einer Tierdoku gesehen hatte. Eine Sekunde fragte sie sich, ob der Fahrer sie nicht doch zum falschen Studio gefahren hatte. Kein Teenie begann zu kreischen, als sie aus dem Wagen stieg. Kein Teenie zückte seine Kamera, streckte ihr die behandschuhten Hände mit Stift und Autogrammkarte entgegen, als Tessa die ersten Meter in Richtung Studio ging.
    Aus dem gläsernen Eingang kam Attila ihr im bloßen Hemd entgegen. Er machte im Laufen eine angedeutete Verbeugung und rief: »Herzlich willkommen.« Er küsste sie rechts, links, rechts und nahm dem Fahrer den Kleidersack ab. »Alles gut?«
    »Alles bestens.«
    Einige Teenies hatten zu singen begonnen.
    »Hier ist schon seit Stunden die Hölle los.« Attila lachte, als habe er einen besonders guten Witz erzählt.
    »Oh, Baby, Baby, be nice to daddy’s

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