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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Studio war es absolut still geworden. Selbst die Großmütter, die den Namen Nuala allerhöchstens einmal von ihren Enkeln gehört hatten, wagten kaum mehr zu atmen.
    »Ich bin krank. Sehr krank.«
    Tessa wusste nicht, ob die Sendung in irgendeiner Form nach draußen übertragen wurde. Wenn ja, hatte es jetzt einen Schrei aus hundert Teenie-Kehlen gegeben.
    Nuala schloss kurz die Augen. Ihre Finger wanderten zu dem Reißverschluss am unteren Ende ihres Hosenbeins.
    »Ich fühle mich schon seit Wochen sehr schlecht, sehr schwach, immer wieder Fieber. Und neulich, auf einer Party«– sie lachte ein kleines verzweifeltes Lachen –, »trinke ich einen Schluck Champagner, und plötzlich kriege ich solche Schmerzen, als würde mir jemand den Hals zudrücken …
Wow
…« Sie fasste sich an die Kehle. »Also habe ich mich untersuchen lassen. Und die Ärzte sagen …«– ihre Finger zogen den Reißverschluss einige Zentimeter auf und wieder zu, auf und wieder zu –»… ich habe
Hodgkin’s disease
… Hodgkin-Krankheit … Sie wissen nicht, wo es herkommt, vielleicht ist es ein Virus, vielleicht … Vielleicht sind es die Gene … Keiner in unserer
family
hat
Hodgkin’s
d
isease
… Keiner … Vielleicht mein Vater …
They don’t know
…«
    Ungeduldig ließ Nuala von ihrem Reißverschluss ab und schlug mit beiden Händen auf die Couch. Ihr Kinn hatte wieder zu zittern begonnen.
    Tessa hatte ihre Karteikarten längst auf den Boden gelegt.
    »Das ist ja schrecklich«, sagte sie und spürte im selben Moment, wie dumm es klang. Zum ersten Mal, seit sie die Sendung moderierte, fühlte sie sich wie ihr Vater, der hilflos mit den Worten rang. Keiner aus der Redaktion hatte irgendeine Andeutung gemacht, dass Nuala krank sein könnte. Tessa wusste fast nichts über diese Hodgkin-Krankheit. Außer, dass sie ziemlich tödlich war.
    »Haben die Ärzte denn schon irgendetwas gesagt, was sie tun werden, um Sie wieder gesund zu machen?«
    »Strahlen … Und Chemo …
They don’t know
…« Wieder begann Nuala zu weinen. »
I know it’s so hard

for all my fans

I’m so sorry

but I fight

I will fight

And I’ll be back

    Nuala ballte die Faust. Ihr ganzer Körper wurde vom Schluchzen geschüttelt.
    Tessa konnte sich nicht erinnern aufgestanden zu sein, doch plötzlich fand sie sich neben der weinenden Pantherin wieder.
    »Nuala, es war sehr tapfer, dass Sie geredet haben. Ich bin sicher, mit dieser Tapferkeit werden Sie es schaffen. Es kann keine Krankheit geben, die größer ist als Ihre Kraft.«
    Sie legte ihren Arm um den bebenden Körper. Und zu ihrem allergrößten Erstaunen stieß die Pantherin sie nicht weg, sondern klammerte sich an sie, als sei Tessa der letzte Busch, der sie über dem Abgrund hielt.
    Beim Abschied flossen noch mehr Tränen. Nuala umarmte sie so lange –
you’ve been so understandig! so kind! thank you! thank you!
–, dass Tessa befürchtete, die junge Frau wolle sie nie mehr loslassen. Und auch die Mutter drückte sie an ihre großen Brüste und erklärte, dass sie fortan
like a daughter
sei. Die Schwestern fielen ihr erst um den Hals, nachdem die Mutter sie in ihre Richtung gestoßen hatte. Dass der kleine blonde Manager sie auch noch umarmte, darauf kam es am Schluss nicht mehr an.
    Andere Hände drückten sie, Leute aus dem Publikum wollten Autogramme, Tessa schüttelte Hände, Tessa schrieb. Irgendwer hielt ihr ein Glas Champagner hin. Tessa nahm es und trank. Es hätte Katzenpisse, Quecksilber, Schierlingssaft sein können. Sie war in diesem Moment viel zu weit weg, als dass sie mitbekommen hätte, was ihre Lippen oder Hände taten.
    Sie hatte es geschafft. Unter diesen Umständen. Geschafft!
    Die Welt versank. Sie fühlte sich wie eine Figur in einem Zeichentrickfilm, die eben noch auf festem Boden gestanden hat, und im nächsten Moment schießt ihr Fleckchen Erde in die Höhe. Höher und immer höher. Ein scharfer Wind pfiff, der sie keine Stimmen, keinen Lärm der Techniker, die bereits damit begonnen hatten, das Studio abzubauen, mehr hören ließ. Das Sofa. Ein roter Klecks. Die Kameras. Fast nicht mehr zu erkennen. Die Scheinwerfer: winzige Lichtpunkte am Firmament. Männer und Frauen so klein, als wären sie Spielzeug für Ameisenkinder. Der kleine Gestreifte, war das Attila? Ja. Es musste Attila sein. Stand da, weit unten, und sein Kleinmut klebte an ihm wie ein nasses Hemd. Er hatte an ihr gezweifelt. Gezweifelt
an ihr
. Tessa musste lachen.
    Zu spät spürte sie,

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