Die Brut
zurückgezogen hatte, hervor und schaute Carola offen an.
»Du bist mein! Ich bleibe dein! Was sollen hier Worte? Was soll ich Warums dir vortragen? Die Warums sind so viele Lügen. Ich bleibe dein!«
Das konnte Sebastian nicht ernst meinen. Zu Carola zurückkehren? Nachdem er ihren Trick klar durchschaut hatte?
Auch Carola, jetzt ganz die raffinierte Spielerin auf der Klaviatur der Ausgemusterten, fiel nicht auf das herein, was Sebastian gesagt hatte.
»Nun denn!«,
schoss sie zurück.
»Und Stella? – Wer betrügt sich? Wer betäubt seine Qualen durch einen kalten, ungefühlten, ungedachten, vergänglichen Trost? Ja, ihr Männer kennt euch.«
»Überhebe dich nicht deiner Gelassenheit! Stella! Sie ist elend! Sie wird ihr Leben fern von mir und dir ausjammern. Lass sie! Lass mich!«
Tessa kam es vor, als hätte sich die Saaldecke, die ohnehin schon bedrohlich dicht über ihren Köpfen war, noch tiefer herabgesenkt.
»Wohl, glaube ich, würde ihrem Herzen die Einsamkeit tun«
, machte Carola gnadenlos weiter.
»Wohl ihrer Zärtlichkeit, uns wieder vereinigt zu wissen. Jetzo macht sie sich bittere Vorwürfe. Sie würde mich immer für unglücklicher halten, wenn ich dich verließ’, als ich wäre; denn sie berechnete mich nach sich. Sie würde nicht ruhig leben, nicht lieben können, der Engel! Wenn sie fühlte, dass ihr Glück Raub wäre!«
Der Engel!
Tessas Hemd klebte am Rücken, es fiel ihr schwer, ruhig zu atmen.
Diese Ratte!
»Lass sie fliehen«,
rief Sebastian,
»lass sie in ein Kloster!«
In Carolas Gesicht tauchte das Grinsen des Anglers auf, der den Hecht noch eine Ehrenrunde durchs Wasser ziehen lässt, bevor er ihn an Land holt. Sie hatte sich inzwischen wieder an den langen Esstisch gelehnt.
»Wenn ich nun aber wieder so denke«
, sagte sie und legte ihre Fingerspitzen aneinander.
»Warum soll sie denn eingemauert sein? Was hat sie verschuldet, um eben die blühendsten Jahre, die Jahre der Fülle, der reifenden Hoffnung hinzutrauern, verzweifelnd am Abgrund hinzujammern? Geschieden sein von dem, den sie so glühend liebt! Von dem, der sie – Nicht wahr, du liebst sie, Fernando?«
Sebastian sagte nicht ja, nicht nein, ließ sich stumm in einen der großen Lederfauteuils sinken und hörte sich die lange Geschichte an, die Carola nun erzählte. Vom deutschen Biedermann, der aus dem Krieg mit der heroischen Geliebten zu seinem Weibe zurückkehrt. Vom Weib, das, anstatt den Biedermann im Bad zu erschlagen, ihm um den Hals fällt, der Geliebten um den Hals fällt und ruft:
»Nimm die Hälfte des, der ganz dein gehört! Nimm ihn ganz! Lass mir ihn ganz! Jede soll ihn haben, ohne der andern was zu rauben!«
Und von der heroischen Geliebten, die, anstatt das Eheweib in alle Ewigkeit zu verfluchen, ihm ebenfalls um den Hals fällt und ruft:
»Oh du! Eine Wohnung! Ein Bett! Und ein Grab!«
Beinahe hätte Tessa vergessen, dass sie noch einen Mantel an der Garderobe hängen hatte. Sie war die breiten Marmorstufen, die zum Ausgang führten, bereits zur Hälfte hinuntergegangen, als es ihr einfiel. Ohne eine Miene zu verziehen, reichte die Garderobiere Tessa den leichten Ledermantel über den Tresen.
Es wurde höchste Zeit, dass sie nach Hause kam. Ohnehin war es unverantwortlich von ihr gewesen, den Abend vor der Sendung mit diesem albernen Stück zu verplempern.
Eine Wohnung! Ein Bett! Ein Grab!
Was für ein Unsinn. Als hätte Goethe mit diesem Stück die
Kommune 1
gründen wollen.
Tessa schlüpfte eben in den linken Ärmel, da entdeckte sie die Tapetentür neben der Garderobe. Schon einmal, nach einer Vorstellung von
Kirschgarten
, war sie durch diese Tür gegangen, um Sebastian in seiner Garderobe zu besuchen. Damals war er gerade aus der Dusche gekommen. Und feucht und frisch gewaschen hatte er sie auf die flaschengrüne Couch gezogen.
Tessa warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Halb elf. Noch hatte sie genügend Zeit, sich auf morgen vorzubereiten. Und Sebastian würde sich bestimmt freuen, wenn sie ihn überraschte und ihm zur Aufführung gratulierte. Hatte er sich neulich nicht durch die Blume beschwert, dass sie so selten ins Theater ging?
Sie schaute sich um, rechts, links, und mit einem schnellen Griff öffnete Tessa die Tür. Der Gang, in dem sie sich wiederfand, kam ihr vollständig fremd vor. Sie öffnete eine zweite Tür und erreichte einen nächsten Gang, eng und niedrig. Dicke Rohre verliefen unter der Decke und verströmten zusätzliche Hitze zu der, die Tessa immer noch empfand.
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