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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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den Marterschuhen. Es hatte überhaupt nichts gebracht, dass sie sich die ganz hohen Satinstilletos, die zu dem Kleid eigentlich am besten gepasst hätten, verkniffen und die fünf Zentimeter niedrigere Kompromissvariante gekauft hatte.
    Nach und nach trudelten ein paar Menschen in der Kantine ein, die Tessa alle nicht kannte. Zwei junge Frauen in zu weiten Cordhosen und ausgewaschenen T-Shirts – Schauspielschülerinnen? –, die sich brav in der langsam wachsenden Tresenschlange eingereiht hatten, schauten zu ihr herüber und tuschelten. Tessa bückte sich nach ihren Schuhen. Es war lächerlich, dass sie hier allein auf dem Präsentierteller saß.
    Neben der eigentlichen Kantine gab es ein kleines Nichtraucherabteil, das sicher noch leerer war. Auf dem Weg dorthin begegnete Tessa einem der wenigen Kollegen von Sebastian, den sie kannte, Rufus, vor Monaten waren sie bei ihm zum Abendessen eingeladen gewesen. Er hatte wunderbar gekocht, anfangs hatte sie ihn
ganz nett
gefunden, aber gleich nach den Erdbeeren mit Minzschaum, als das Gespräch unrettbar ins Tittenwitzgefilde abgedriftet war, hatte sie Sebastian gesagt, dass sie nach Hause wollte.
    Rufus umarmte sie, als seien sie Freunde seit der frühen Steinzeit. Er fasste sie an beiden Schultern, musterte sie von oben bis unten und sagte: »Prächtig schaust du aus.« Dann drückte er sie wieder an sich. »Ich freu mich ja so für euch. Es ist der Wahnsinn.«
    In einer Ecke des Nichtraucherabteils entdeckte Tessa eine Sitzbank. Sicher konnte sie es riskieren, sich einen Moment hinzulegen. Es würde dauern, bis Sebastian endlich in der Kantine auftauchte.
    Tessa stieß einen ähnlich tiefen Seufzer aus, wie es das Polster getan hatte, als sie sich hingesetzt hatte. Es tat so gut zu liegen. Ein wenig die Augen zu schließen. Vorsichtig schob sie ihre rechte Hand durch den Bauchschlitz in ihrem Kleid.
    »Ich will dich endlich sehen«, flüsterte sie. »Du bist doch schön?«
    Irgendwo in der Nähe hörte sie zwei Frauenstimmen tuscheln. Sollten sie. Es war ihr gutes Recht, hier zu liegen und sich zu entspannen. Welche andere Frau hätte im achten Monat die Tapferkeit besessen, drei Stunden Shakespeare über sich ergehen zu lassen. Die Frauenstimmen entfernten sich. Doch plötzlich – Tessas Herz machte einen Satz, als sei sie in ein Schlagloch gefahren. Ganz deutlich waren zwei Wörter zu ihr herübergeweht:
    Die Schlampe …
    So schnell es ging – das hieß: unendlich langsam – hievte sie sich in die Höhe. Sie sah zwei Frauenrücken im dichter gewordenen Trubel der benachbarten Kantine verschwinden. Hatte die Linke nicht kastanienbraunes Haar? Und die Rechte einen Turban auf? Das Licht war so schlecht. Tessa atmete aus. Sie musste sich verhört haben. Carola würde nicht wagen, heute Abend hier aufzutauchen. Und außerdem war das eben nicht Carolas Stimme gewesen. Wahrscheinlich waren es unbekannte Schauspielerinnen, die über eine Kollegin gelästert hatten.
    Etwas benommen stand Tessa auf und richtete ihr Kleid. Sie hatte das Gefühl, als ob sich die Schnüre am Rücken verschoben hätten.
    »Da steckst du«, rief eine vertraute Stimme, »ich hab dich schon überall gesucht.«
    Tessa fiel Sebastian um den Hals. Er hatte geduscht und sich umgezogen, seinem Atem nach zu urteilen, hatte es auf der Seitenbühne ausreichend Champagner gegeben.
    »Herzlichen, herzlichen Glückwunsch. Du warst so toll«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
    »Ehrlich?«
    »Mega-ehrlich.«
    Er schaute sie an, strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. In seinen Augen leuchtete Glück. Sein Triumph. Sein
Oben
.
    Er nahm Tessa bei der Hand und zog sie in das Gedränge hinaus. Das Kätzchen, das die Lady gespielt hatte, schob sich mit einer frischen Flasche Champagner in den Weg.
    Sebastian legte den rechten Arm um Tessa, mit der linken Hand nahm er eins der beiden Gläser und ließ sich einschenken.
    »Kennt ihr euch? Tessa – Barbara. Barbara – Tessa.«
    Tessa sagte höflich: »Hallo.«
    »Oh, jetzt hab ich gar kein drittes Glas mitgebracht.« Das Kätzchen schaute sie aus tief liegenden Augen an.
    »Ich darf sowieso nichts trinken.«
    »Ach komm«, sagte Sebastian. »Einen Schluck zum Anstoßen.«
    Tessa zwickte ihn in die Seite. »Nein.« Es sollte heiter wirken.
    Er umarmte sie noch fester. »Einen Schluck. Ab morgen abstinenzen wir wieder gemeinsam.«
    Das Kätzchen schaute von dem zweiten Glas in ihrer Hand zu Tessa und wieder zurück.
    »Ich hol noch ein Glas«, sagte Sebastian und

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