Die Brut
die dir passen.«
Tessa spürte einen Tritt, der sie beinahe in die Knie gehen ließ.
»Er hat mich gehört! Er hat verstanden, was ich gesagt habe!«, rief Sebastian so laut, dass sich auch die beiden letzten Menschen in dem Geschäft, die sie noch nicht anstarrten, nach ihnen umdrehten. Er lauschte, als erwarte er tatsächlich, dass sein Sohn
eine Nummer größer, bitte
antwortete.
Tessa spürte weitere Tritte, den sanften Gegendruck von Sebastians Hand. Vater-und-Sohn-Punching pränatal.
»Es ist so ein Wunder«, flüsterte er. »Diese Kraft … Ich kann es kaum erwarten, bis er endlich da ist.«
»Und ich erst«, gab Tessa leise zurück und küsste Sebastian aufs Ohr.
»Hast du mit denen in der Klinik inzwischen einen Termin gemacht?«
»In zwei Wochen können wir uns den Laden anschauen.«
Sebastian zog die Schuhe, die die ganze Zeit auf seinen Fingern gesteckt hatten, ab und schaute Tessa fragend an.
»Nun tu sie schon in den Korb«, sagte sie grinsend. »Hast du irgendwo Spieluhren entdeckt? Wir brauchen unbedingt eine Einschlafuhr.«
»Unbedingt. Am besten einen Mond.«
»Das ist nicht wahr.« Sie blieb stehen. »Du hattest früher auch einen Mond?«
»Aber sicher doch.« Sebastian begann leise zu summen. »
Der Mond ist aufgegangen
…«
Arm in Arm schlenderten sie durch das Geschäft. Tessa kam es vor, als ob die Leute vor ihnen nicht nur zurückwichen, sondern sich verneigten.
»Ich habe neulich eine Regisseurin getroffen, die hat ihr Kind letztes Jahr zu Hause entbunden«, sagte Sebastian, nachdem er die erste Strophe zu Ende gesummt hatte. »Und die hat gemeint, dass es ganz großartig gelaufen ist.«
»Nicht schon wieder«, stöhnte Tessa.
»Wärst du gern auf die Welt geschnitten worden? Du hasst es ja schon, wenn ich dir morgens die Bettdecke wegziehe.«
»Das hat doch überhaupt nichts miteinander zu tun.«
»Wohl hat es das. Neun Monate im Weichen und Warmen und dann mit einem Schlag – wupp!«
»Es wäre mir auch lieber, wenn du den Kleinen ganz behutsam auf die Welt küssen könntest.« Tessa streckte den Arm aus. »Da hinten ist die Spielzeugabteilung.«
Sie fanden eine flauschige Sichel, einen gelben Mond, der sie beide so sehr begeisterte, dass sie ihn fünf Mal sein Lied spielen ließen, bevor sie ihn in den Korb legten.
»Also ich persönlich hätte ja mehr Angst vor einer Operation als davor, mein Kind einfach so zu kriegen«, sagte Sebastian als sie endlich auf dem Weg zur Kasse waren.
»Dann schlage ich vor, dass du es bei unserem nächsten Kind mit der sanften Heimgeburt probierst«, sagte Tessa.
Er hatte einen langen weißen Mantel an. Unruhig fuhren seine Hände über das Revers, verschwanden in den Taschen, stellten den Kragen hoch und klappten ihn wieder herunter. Seine Stirn war nass. Tessa war sicher: Nicht lange, und am Rücken und unter den Armen würden sich die ersten dunklen Flecken abzeichnen, obwohl der Mantel aus einem dicken Stoff zu sein schien.
»
Wär’s abgetan, so wie’s getan ist, dann wär’s gut,
Man tät es eilig: – Wenn der Meuchelmord
Aussperren könnt’ aus seinem Netz die Folgen
Und nur Gelingen aus der Tiefe zöge:
Dass mit dem Stoß, einmal für immer, alles
Sich abgeschlossen hätte – hier, nur hier –
Auf dieser Schülerbank der Gegenwart –,
So setzt’ ich weg mich übers künft’ge Leben
.«
Die Frau mit dem grünen Seidenturban, die neben Tessa saß, stieß ein kurzes Lachen aus. Schon mehrmals hatte sie an Stellen gelacht, an denen Tessa beim besten Willen nichts Komisches finden konnte. Wenn sie nicht lachte, schaute die Frau unruhig nach rechts und links. Doch Tessa hatte den Verdacht, dass die Frau eigentlich sie mustern wollte und nur zur Tarnung auch in die andere Richtung schaute. Sebastian hatte ihr gesagt, dass er seine zweite Freikarte einer Schauspielerin geben würde. Die Frau hatte schon gesessen, als sie sich zu ihrem Platz geschoben hatte. Abermals spürte Tessa, wie ein Blick ihr Gesicht streifte, sie musste sich zwingen, ihre Aufmerksamkeit bei Sebastian auf der Bühne zu halten.
In den letzten Tagen hatte Sebastian nur noch wenig von den Proben erzählt. Auch wenn er es nicht direkt aussprach, Tessa hatte gespürt, dass er daran zweifelte, ob er ein guter Macbeth war. Und wenn sie ehrlich war, bezweifelte sie es auch. Sie verstand nichts von Theater, aber noch leuchtete ihr nicht ein, dass dieser fahrige Mann im weißen Mantel machtgeil und aufstachelbar sein sollte bis zum Mord.
Ein
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