Die Brut
verschwand im Getümmel.
»Übrigens herzlichen Glückwunsch.« Tessa lächelte das Kätzchen an. »Sie waren ganz großartig.«
»Wirklich? Oh, danke.«
Ein Mann, den Tessa nicht kannte, stürzte sich von hinten mit Geschrei auf das Kätzchen, das Kätzchen drehte den Kopf und begann gleichfalls zu schreien. Die beiden umarmten sich, als hätten sie sich seit dem letzten Jahrtausend nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich hatten sie gestern Abend zum letzten Mal gemeinsam auf der Bühne gestanden.
Tessa schaute sich um. Die Kantine war mittlerweile so voll, dass es keinen einzigen freien Stuhl mehr gab. An dem Tisch, an dem sie vorhin gesessen hatte, entdeckte sie die grüne Turbanfrau. Im ersten Moment bekam sie einen Schrecken, aber dann wurde ihr klar, dass die Frau vorhin unmöglich die Turbanfrau gewesen sein konnte. Und die grauhaarige Frau, mit der sich diese jetzt unterhielt, konnte unmöglich Carola sein. Elena hatte sie gewarnt, dass im dritten Trimenon die Nerven mit ihr Jojo spielen würden.
Sebastian kam mit dem Glas zurück. Er nahm dem plappernden Kätzchen die Flasche aus der Hand, bat Tessa, die Gläser zu halten, und schenkte ein. Als er fertig war, drückte er dem Kätzchen die Flasche wieder in die Hand.
»Auf deinen Erfolg«, sagte Tessa.
»Auf dich! Auf uns!«
In dem Moment, in dem sie das Glas ansetzte, stieß sie jemand in den Rücken. Bevor sie einen Schluck getrunken hatte, fiel ihr der Champagner aus der Hand.
Das meiste hatte Sebastians Hemd abbekommen, einige Spritzer waren auf ihrem Kleid gelandet und hatten den empfindlichen Stoff wohl ruiniert. Sebastian und der Schubser lachten, umarmten sich und klopften sich gegenseitig auf den Rücken, wobei noch mehr Champagner verschüttet wurde. Tessa hörte undeutliche Laute, die nach
Alter
und
geschafft
klangen.
Sie wartete, bis der unbekannte Schubser weitergezogen war, dann lehnte sie sich gegen Sebastians Schulter. »Ich bin ziemlich erledigt. Ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalte.«
»Aber der Abend hat doch gerade erst begonnen. Wir müssen noch mal anstoßen. Jetzt richtig.«
»Ich möchte nicht.«
»Ist irgendwas nicht in Ordnung? Geht es dir nicht gut?« Wie immer, wenn Sebastian diese Frage in letzter Zeit stellte, wanderte sein Blick zu ihrem Bauch.
»Es ist alles okay. Nur ist das hier einfach ein bisschen heavy.«
»Hey.« Sebastian schlang seinen Arm um Tessas Taille, beziehungsweise das, was davon übrig geblieben war. »Was ist los mit dir? Das ist erst unsere zweite Premierenfeier.«
»Ich weiß.«
»Und du siehst in diesem Kleid so umwerfend aus, dass ich mich den ganzen Abend fragen würde, wer diese hinreißende Frau ist, die sich da mit dem alten Trottel nerven muss.«
»Das würde ich mich allerdings auch fragen.« Tessa gab Sebastian einen langen Kuss. Mit den sieben Höhenzentimetern, die ihr die Schuhe immerhin noch schenkten, konnte sie ihm über die Schulter schauen. Die Turbanfrau saß unverändert da.
»Sag mal, was war denn das für eine, die du da heute neben mich gesetzt hast?«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Die ist doch nicht ganz dicht.«
»Gerlinde? Weiß nicht. Kannst ja mal gucken gehen, ob’s ‘ne Pfütze gibt, wenn du sie abfüllst.«
»Witzig.« Tessa befreite sich aus Sebastians Umarmung. »Im Ernst. Die hat die ganze Zeit gelacht und ständig nach rechts und links geguckt. Da. Jetzt schon wieder.«
Sebastian folgte Tessas Blick. »Wo siehst du Gerlinde?«
»Na da. Die mit dem Turban.«
»Das ist nicht Gerlinde. Das ist Jutta.«
»Ist mir doch wurscht, wie die heißt. In jedem Fall ist sie nicht ganz dicht. Schauspielerin?«
»Moment.« Sebastian kratzte sich an der Brust, die aus seinem halb geöffneten Hemd herausschaute. »Die mit dem Turban hat neben dir gesessen?«
»Ja.«
»Das ist komisch. Weil – ihr habe ich die Karte nämlich gar nicht gegeben.«
»Dieses Turbanteil ist nicht zufällig eine Freundin von Carola?«, fragte Tessa nach einer kleinen Pause.
»Wie kommst du denn darauf? Die beiden konnten sich nie leiden.«
Sebastian kippte den Rest aus seinem Glas hinunter. Das Kätzchen war mit der Flasche im Gewühle verschwunden.
Tessa lächelte. »Entschuldigst du mich kurz?«
Sie schob sich durch die schwitzenden Menschen, ihr Geruchssinn spielte verrückt wie ein Kompass im Eisenwarenladen. Süßer Schweiß, Rauch, ranziger Schweiß, zu schweres Parfüm, billiges Deodorant. Sebastian sagte nicht die ganze Wahrheit.
Die Toiletten waren zwei Treppen
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