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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Elena, die versprochen hatte, Tessa trotz Kaiserschnitt bei der Geburt zu begleiten. Pünktlich um sechs klingelte der Fahrer. Sebastian hatte den Kopf geschüttelt, als Tessa ihm gesagt hatte, dass sie einen Fahrer des Senders gebeten habe, sie in die Klinik zu bringen. Als er sich jetzt auf dem Beifahrersitz anschnallte und sie, die mit Elena im geräumigen Fond saß, anlächelte, konnte sie ihm ansehen, dass auch er froh war, nicht in einem nach Döner, kaltem Rauch oder billigem Aftershave riechenden Taxi der Geburt seines Sohnes entgegenzufahren.
    Eine junge Schwester begrüßte sie auf den Treppenstufen der Becker-Klinik. Tessa lehnte den Rollstuhl, den diese ihr anbot, ab –
danke, noch kann ich gehen.
    Die Gänge in der Jugendstilvilla waren weiß und hoch und hatten Stuckdecken. An der Aufnahme stand ein riesiger Strauß Callas und Lilien. Im April, als sie die Klinik mit Sebastian besichtigt hatte, war Tessa alles schön und hell erschienen. Jetzt kam es ihr so vor, als wären die Gänge enger zusammengerückt, als verströmten die Blumen einen modrigen Geruch. Sahen die Schwester in ihren frisch gestärkten Kitteln nicht ebenso müde aus wie die Menschen, die in einer normalen Großstadtklinik arbeiteten? Machten die Schuhe auf dem Terrazzofußboden nicht dieselben hässlichen Geräusche wie Gummisohlen auf Linoleum?
    Tessa blieb stehen. Sebastian, der dicht hinter ihr gegangen war, lief auf sie auf. Da. Ein fernes Schreien. Hoch. Durchdringend. Jetzt war es still. Irgendwo summte eine Lampe.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte die Schwester, die gemerkt hatte, dass Tessa hinter ihr und Elena zurückgeblieben war.
    »Werden heute Morgen noch andere Kaiserschnitte gemacht?«, fragte Tessa und lauschte wieder.
    »Nein. Sie sind unsere einzige Patientin.«
    Da war es wieder. Hoch. Verzweifelt. Tessa schaute die anderen an. Außer ihr schien niemand etwas zu hören.
    »Soll ich Ihnen nicht doch den Rollstuhl holen?«, fragte die Schwester.
    »Nein«, antwortete Tessa mit fester Stimme. »Es ist alles in Ordnung.«
    Das Gesicht des indischen Narkosearztes hing über ihr wie ein gelber Mond. Wo war Sebastian? Sie hatten verabredet, dass er bei ihr sein würde, wenn der Narkosarzt den Katheter für die Spinalanästhesie legte. Elena nahm ihre rechte Hand, an der Linken war bereits der Sauerstoffsensor befestigt, der seine Daten auf einen Monitor übertrug. Auch ihr Blutdruck und ihre Herztätigkeit erzeugten Töne auf einem Bildschirm am Kopfende der Liege, den Tessa nicht sah, nur hörte. Jetzt erst merkte sie, dass ihre Hände eiskalt waren. Elena machte ein teils beruhigendes, teils vorwurfsvolles
ts ts
und begann, ihre Hand zu reiben.
    »Alles wird gut. Keine Angst.«
    Die Herztöne ihres Kindes marschierten unverändert weiter.
    »Wo ist Sebastian?«
    »Er zieht sich noch um. Er wird jeden Augenblick da sein.«
    Sie hatte nicht laut fragen wollen. Es war ihr herausgerutscht, um zu verhindern, dass sie laut schrie:
Hör auf mit dem Alleswirdgut, nichts wird gut!
Sie hätte sich für die Vollnarkose entscheiden sollen, bei dem Vorgespräch war alles so weit weg gewesen. Ein Fehler, sie hatte sich von Sebastian und später Elena überreden lassen. Keiner hatte es ausgesprochen, aber beide hatten sie angesehen, als es um die Wahl Vollnarkose oder Teilnarkose ging, und ihrer beider Blicke hatten gesagt:
Du willst diesen einzigartigen Moment, wo dein Kind den ersten Schrei ausstößt, doch nicht verschlafen?
    Von einem der Monitore ertönte ein scharfer Pfiff.
Ihr Puls. Ihr Puls raste jetzt schon, obwohl noch gar nichts passiert war
. Alles in ihr flehte:
Gebt mir eine Vollnarkose, bitte, Schlaf, Ohnmacht
.
Ich will das nicht erleben!
    »Keine Sorge, das war nur der Warnton, dass sich der Sauerstoffsensor gelöst hat, die Geräte brauchen immer eine Weile, bis sie sich eingestellt haben«, sagte die Narkoseschwester, befestigte die Klammer erneut an Tessas Zeigefinger und strich ihr über die Hand.
    »Alles wird gut. Ihrem Kind geht es großartig. Keine Angst.«
    »Wenn Sie sich dann bitte auf die Seite drehen.«
    Tessa schloss die Augen.
Atmen. Tief atmen. Bis hundert zählen. Lass dich mitnehmen von den Tönen. Denk an dein Kind. Wumm. Wumm. Unter Wasser. Weißt du noch, wie du früher in der Badewanne mit dem Kopf untergetaucht bist, um das Klopfen in den Leitungen zu hören? Wumm. Wumm. Alles wird gut.
    Kühl berührte sie das Desinfektionsmittel an der Wirbelsäule.
    »Nicht erschrecken. Jetzt gibt es einen

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