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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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verschrobener Physiker
, dachte sie.
Er versucht, den Blutwolf als unschuldigen Intellektuellen zu spielen
.
Der nur mordet, um seine Ruhe zu haben
.
    »
Ich habe keinen Stachel,
    Die Seiten meines Wollens anzuspornen
–«
    Die Frau neben Tessa lachte wieder. Diesmal drehte Tessa ihren Kopf deutlich nach rechts und schaute die Frau finster an. Was diese allerdings nicht weiter beeindruckte. Sie mochte Ende vierzig, Anfang fünfzig sein. Tapfer bemüht, weniger unglücklich auszusehen, als sie tatsächlich war.
Schauspielerin
. Tessa ertappte sich dabei, dass sie bei dem Wort Verachtung empfand.
    »
Er hat fast abgespeist.
    Warum hast du den Saal verlassen?
«
    Eine piepsig-schrille Frauenstimme ließ Tessa zusammenfahren. Sie hatte den Auftritt der Lady Macbeth verpasst. Vorhin, in der Szene, wo die Lady den Brief ihres Gatten las, in dem all die triumphalen Dinge standen, die die Hexen ihm prophezeit hatten, war ihr diese Stimme schon auf den Nerv gegangen. Sebastian hatte ihr erzählt, dass die junge Schauspielerin gerade dabei war, ein großer Star zu werden. Tessa verstand nicht, wo der Zauber dieser verhuschten Gestalt lag, die jetzt die mageren Arme vor der Brust verschränkte und an einem Faden zupfte, der aus ihrem Angora-Strick-Abendkleid heraushing. Tessa erinnerte sie an ein Kätzchen, das der Besitzer schon in den Wassereimer getunkt, es dann aber doch nicht übers Herz gebracht hatte, es wirklich zu ertränken.
    »
Bist du zu feige,
    Derselbe Mann zu sein in Tat und Mut,
    Der du in Wünschen bist?
«
    Die Turbanfrau war an die vorderste Kante des Sessels gerückt, hockte reglos da, lauernd, eine Hand in das Kunstschmuckcollier gekrallt, das um ihren Hals lag. Vermutlich hatte sie ihr Leben lang davon geträumt, die Rolle auch einmal zu spielen. Schlimmer als das, was sich dort oben tat, hätte ihr Auftritt auch nicht sein können. Nicht einmal der kleinste Provinzsender hätte das Kätzchen mit dieser Stimme eine Talkshow moderieren lassen.
    »
Ich hab gesäugt und weiß
, – krächz –
    Wie süß, das Kind zu lieben, das ich tränke
; – kieks –
    Ich hätt, indem es mir entgegenlächelte
, – fiep –
    Die Brust gerissen aus den weichen Kiefern
– krächz –
    Und ihm den Kopf geschmettert an die Wand
–«
    Tessa verschränkte beide Hände über dem Bauch. Seit Tagen herrschte eine eigenwillige Ruhe darin. Elena hatte ihr gesagt, das sei in diesem Stadium der Schwangerschaft normal. Kein Platz mehr für’s Schattenboxen.
    »Hältst du’s noch aus?«, murmelte Tessa so leise, dass nicht einmal ihre merkwürdige Nachbarin es hören konnte. »Ich versprech dir, die Alte wird für all das bezahlen.«
    In ihrer linken Wade begann sich ein Krampf einzunisten. So gut es ging, streckte Tessa das Bein unter dem Sitz ihres Vordermannes aus. Die Reihen im Parkett waren ein kleines bisschen weniger eng als die auf dem Rang. Trotzdem hätte sie alles dafür gegeben, sich fünf Minuten hinzulegen. Im Vorraum zu den Damentoiletten hatte sie eine altmodische Chaiselongue entdeckt. Aber sie konnte unmöglich aufstehen und gehen. Ihr Platz war in Reihe sieben, ziemlich in der Mitte, und sie war sicher, dass es Sebastian trotz der Verdunklung im Zuschauerraum und trotz der Scheinwerfer, die ihn blendeten, sehen würde, wenn sie den Saal verließ. Sie würde ihn aus dem Konzept bringen. Vielleicht würde er sogar von der Bühne stürmen, weil er dachte, ein Notfall sei passiert. Der Gedanke ließ sie lächeln.
    Die Premierenfeier fand in der Kantine statt. Obwohl der lang gezogene Raum mit den eitergelben Wänden und der viel zu niedrigen Decke – abgesehen von den zwei Feuerwehrleuten und drei jungen Frauen, die Lampen mit roter Folie dekorierten, – noch leer war, roch das Ganze bereits wie ein riesengroßer Aschenbecher, den man in einer riesengroßen Fritteuse abgelöscht hatte. Unentschlossen blieb Tessa im Eingangsbereich stehen. Sebastian hatte ihr in der Pause gesagt, dass es direkt nach der Vorstellung erst einmal ein Glas Champagner auf der Seitenbühne gab und sie in jedem Fall dazukommen sollte. Obwohl sie vom Zuschauerraum zur Kantine höchstens zweihundert Schritte gegangen war und sie fast den ganzen Abend gesessen hatte, taten ihr die Füße weh. Tessa setzte sich an den ersten Tisch gleich bei der Tür und versuchte, eins der Fenster zu öffnen, die auf einen dunklen Hinterhof hinausgingen. Entweder war es abgeschlossen, oder die Verrieglung klemmte. Entnervt gab Tessa auf und schlüpfte aus

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