Die Buchmalerin
Bescheidenheit und Demut zu zeigen, besaß ihr Antlitz einen unverkennbar hochmütigen Ausdruck. Es sollte ihn nicht wundern, wenn sie – bei aller aufrichtigen Sorge um die Reinheit des Glaubens –, auch gern den Rang einer Äbtissin innegehabt hätte.
»Ich bin Euch sehr dankbar, dass Ihr unverzüglich nach Beginn der Morgendämmerung meine Soldaten verständigt habt«, sagte er eindringlich. »Ihr glaubt also, dass sich die flüchtige Ketzerin mit Namen Donata in einem abgebrannten, unbewohnten Gehöft des Klosters in der Nähe von Nideggen verborgen haben könnte?«
»Wie ich Euch bereits sagte.« Schwester Gunhild nickte bekräftigend und legte ihre schlanken Hände züchtig übereinander. »Die Buchstaben auf dem Wachstäfelchen waren weder in meiner noch in der Schrift der Äbtissin geschrieben. Das letzte Mal, als ich jene Frau sah, hielt sie sich im Schreibzimmer der Äbtissin auf und benutzte Wachstäfelchen und Griffel. Der Inhalt des Briefes muss von jenem Gehöft gehandelt haben. Nideggen und Nettelbach … Sonst verfolgt die Abtei in jener Gegend keine Interessen. Außerdem weiß ich, dass die Äbtissin wegen des Wiederaufbaus an den Verwalter schreiben wollte.«
»Ich glaube, Ihr habt der Inquisition einen großen Dienst erwiesen«, erklärte der Kardinal ernst. »Ihr könnt sicher sein, dass ich Euer Handeln zu schätzen weiß und nicht vergessen werde.«
»Ich weiß nicht, ob dies die flüchtige Ketzerin betrifft«, fügte die Benediktinerin ein wenig unschlüssig hinzu, »aber mir ist noch eine andere Sache eingefallen …«
»Alles kann wichtig sein.« Enzio winkte ihr, fortzufahren.
»Am Abend jenes Tages, als die Frau aus dem Kloster verschwand, kam ein Mann durch die Kirche in unser Haus, nicht durch die Pforte. Er behauptete, er habe der Äbtissin dringend Briefe zu überbringen. Ich habe ihn zu ihrem Zimmer geführt.«
»Ein Mann, der Eurer Äbtissin Briefe überbracht hat«, wiederholte Enzio. »Es ist gut, dass Ihr mir dies mitgeteilt habt.«
Er streckte die Hand aus, damit die Nonne seinen Bischofsring küssen konnte. Sie kniete ruhig nieder und erhob sich ebenso ruhig und würdevoll, nachdem ihre Lippen den Ring berührt hatten. Enzio sah ihr nach, wie sie mit leise raschelnden Gewändern zur Tür ging. Als sie den Raum verlassen hatte, bedeutete er Léon, der ruhig in einer Ecke des Raums gewartet hatte, zu ihm zu kommen.
»Die Äbtissin hat der Frau mit Namen Donata also einen Brief diktiert, der von einem zerstörten, unbewohnten Gehöft handelte. Da wir nicht wissen, wo sie sonst sein könnte, werden wir dieser Spur folgen. Mach dich mit ein paar der Soldaten auf den Weg.«
Zustimmend neigte der Diener den Kopf. »Mehr als drei, vier Tage Vorsprung kann sie nicht haben.«
»Ein Mann kam am Abend, nachdem sie das letzte Mal im Kloster gesehen wurde, zur Äbtissin…«, nahm Enzio einen anderen Gedanken auf. »Ein Mann hat ihr geholfen, aus dem Kloster an der Mosel zu entkommen … Es könnte Friedrichs Kundschafter sein. Vor allem, da der Begarde, trotz allem, was du mit ihm angestellt hast, nicht gestanden hat, Friedrichs Mann zu sein.«
»Irgendwann hätte er es schließlich zugegeben, um die Folter nicht mehr ertragen zu müssen …« Léon lächelte freudlos. »So wie er auch gestand, Gisbert mithilfe eines verzauberten Messers, das ihm die Beginen gaben, getötet zu haben … Aber er ist nicht Friedrichs Mann.«
»Nun, ich bin überzeugt, dass der Staufer gute Leute in seinen Diensten hat«, bemerkte Enzio trocken und besann sich einen Moment. »Ach, und ehe du aufbrichst, sieh zu, dass du Veit, unseren hilfsbereiten Schreiber, findest. Frag ihn, ob er auf seinen Reisen jemals etwas von einer benediktinischen Buchmalerin gehört hat, die aus einem Kloster geflohen ist. Auch dies könnte sich als nützlich erweisen.«
*
Heinrich, der deutsche König, ritt, begleitet von seinem Gefolge, durch die engen Gassen Triers. Er beachtete die Menschen nicht, die vor ihm und seinen Reitern beiseite wichen, ihn bewundernd oder neugierig angafften oder ehrfürchtig den Kopf neigten. Sein Blick war auf die alte römische Basilika gerichtet. Zwischen den niedrigen, schmutzigen Häusern ragte sie auf wie ein Gigant unter Zwergen. Selbst das Grau des Wintertages und der leichte Nebel, der in der Luft lag, vermochten das intensive Rot ihrer Mauern nicht zu schmälern.
Ja, er hatte sich entschieden. Er würde sich den Plan des Kardinals zu Eigen machen und die Nachfolge der
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