Die Buchmalerin
plötzliche Schärfe. »Auch wenn ich nicht freiwillig mit Euch komme – es empfiehlt sich, über seinen Reisegefährten Bescheid zu wissen. Meint Ihr nicht auch? Immerhin habt Ihr schon eine ganze Menge über mich erfahren …«
Roger schwieg. Er griff in das Feuerholz, nahm ein verwachsenes Aststück und wog es in den Händen. Schließlich, als Donata schon dachte, er würde nichts mehr erwidern, warf er das Aststück mit einer raschen Bewegung in die Glut. Ein orangefarbenes Nest von Flammen bildete sich darum.
»Friedrich hat mich von einer Burg in der südlichen Eifel mit nach Italien genommen. Ich war ein Waisenkind. Und er fand, ich könnte bei den Falken nützlich sein. Beantwortet das Eure Frage?«
»Weshalb braucht der Kaiser, der ein Buch über die Aufzucht der Falken geschrieben hat, ein Kind, das ihm bei den Vögeln hilft?«, versetzte sie. »Nein, Ihr habt meine Frage nicht beantwortet.«
»Dafür, dass Ihr als rückfällige Ketzerin außerhalb der menschlichen Ordnung steht, kennt Ihr Euch, was diese Ordnung betrifft, erstaunlich gut aus.« Seine Stimme klang eher müde als beleidigend.
»Auch diejenigen, welche die Kirche zu Ketzern erklärt, können aus guten Familien kommen. Und ich wurde, wie Ihr ja wisst, von Benediktinerinnen erzogen«, entgegnete Donata ruhig. »Außerdem wird auf den Gassen und Märkten viel geredet. Wie Euch ja gewiss ebenfalls nicht unbekannt ist …«
Roger nickte. »Ihr habt Recht, unterwegs erfährt man viel …« Er zog seine Knie an und fuhr mit den Fingern über die kleine Tonlampe, die vor ihm auf dem Boden stand, als wollte er prüfen, ob sie noch ganz sei.
»Ich war neun oder zehn Jahre alt. Mein Großvater war, ehe er starb, der Falkner einer Burg in der Nähe von Adenau gewesen. Er hatte mir alles, was er wusste, über die Vögel beigebracht. Sein Nachfolger mochte mich nicht … Als einer der Falken aus seinem Käfig entkam, behauptete er, ich sei schuld daran. Denn ich liebte die Vögel und hielt mich, obwohl ich es nicht durfte, so oft ich konnte, in ihrer Nähe auf.«
Roger lehnte den Kopf gegen die Wand und sah Donata mit einem Anflug von Spott an. »Der Falkner zerrte mich vor den Burgherrn. Um es kurz zu machen: Dieser hätte keine Einwände gehabt, wenn mich der Mann zu Tode geprügelt hätte. Der Staufer bereiste damals das Reich und machte Station auf der Burg. Während ich noch zwischen all den hohen Herren zitternd und mit nassen Hosen am Boden lag, kam der Falke zurück – ich hatte ihn abgerichtet, als mein Großvater noch lebte. Der Vogel trug einen Hasen zwischen den Fängen, und als ich mich aufrappelte und kaum zu glauben wagte, was geschah, ließ er die Beute fallen und landete auf meiner Hand.«
»Ihr hattet Angst«, stellte Donata nachdenklich fest.
»Ja, das hatte ich … Habe ich Eure Frage jetzt ausreichend beantwortet?«
Sie nickte. »Jetzt verstehe ich, warum der Staufer von Eurem Umgang mit Falken beeindruckt war.« Dieser Mann wusste also, was es hieß, anderen Menschen völlig ausgeliefert zu sein. Hatte er ihr deshalb damals, am Tor des Klosters, beigestanden? Gegen ihren Willen fühlte sie sich ihm einen Moment nahe. Sofort sagte sie sich jedoch wieder, dass er ein Gegner war, dass er dem Staufer diente, der Ketzer verfolgen ließ, und er sie nur benutzte.
»Ich würde sagen, der Kaiser hat keinen schlechten Tausch gemacht«, fügte sie hart hinzu. »Er hat einen Falkenjungen mitgenommen und außerdem einen Arzt und einen willfährigen Späher bekommen. Ihr seid zu vielem zu gebrauchen.«
»Nun, ich schätze, mit Euch steht es ähnlich«, gab er ebenso schroff zurück. »Wenn Ihr die vergangenen vier Jahre überstanden habt, dürftet Ihr in einigem bewandert sein. Jedenfalls könnt Ihr schreiben. Und Ihr sollt in der Buchmalerei eine große Kunstfertigkeit besitzen … Was könnt Ihr noch?«
Donatas Blick irrte zu ihrem Bündel, das einige Handbreit von ihr entfernt auf dem Lehmboden lag und ihre Pinsel und ihren Silberstift enthielt. Ihr Werkzeug, das sie nicht mehr gebrauchen konnte.
»Ihr könnt die Lampe ausmachen. Ich denke nicht, dass ich Euch diese Nacht noch einmal durch mein Schreien wecke«, sagte sie abweisend. Sie legte sich nieder, wickelte sich in ihre Mäntel und nahm noch wahr, dass Roger sie verwundert anschaute, ehe er den Docht der Lampe mit den Fingern ausdrückte.
*
In der Nacht zuvor hatte Schwester Gunhild mit einem Talglicht in der hoch erhobenen Hand die Küche des
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