Die Buchmalerin
Wachsamkeit nachlassen. Dank des Verbands und der feuchten Erde, die er darauf getan hatte, schmerzte ihr Fuß weniger stark. In ein paar Tagen, wenn sie wieder besser laufen konnte, würde sie eine günstige Gelegenheit ergreifen und ihn verlassen.
Sie glitt hinüber in den Schlaf. Sie befand sich in dem vor Hitze flirrenden Burghof und sah die Soldaten, die über die Menschen herfielen. Das Schwert, das in den Säugling stieß … Das lachende Gesicht des Mannes … Sie schrie. Eine Hand legte sich auf ihren Mund. Sie wollte weglaufen, aber jemand hielt sie fest. Sie war gezwungen zuzusehen, wie das Blut den Sand rot färbte, in einzelnen dünnen Rinnsalen auslief. Und dazwischen lag der von Schwerthieben zerhackte Körper des Kindes.
»Hört auf zu schreien … Es ist nichts. Niemand will Euch etwas tun!«
Ein orangefarbenes Licht erschien vor ihren Augen. Die Traumbilder verblassten. Die Hand wurde von ihrem Mund genommen. Jemand rüttelte sie an der Schulter. Donata öffnete die Lider und war sich ungewiss, ob sie wach oder noch in einem Traum gefangen war. Roger beugte sich über sie. Seine Miene war angespannt und wachsam und seine Augen wirkten im Schein der Flamme hellblau. Einen Moment lang glaubte sie, wieder auf den Torbogen des Klosters zuzulaufen.
»Es ist alles in Ordnung. Niemand will Euch etwas tun.« Seine Stimme klang kalt, hatte aber, wie Donata benommen und verwundert bemerkte, einen besorgten Unterton. Sie richtete sich auf und lehnte ihren Rücken gegen die Wand. Noch immer war der Traum nicht ganz verblasst. Sie fühlte, dass sie zitterte, und ihr wurde bewusst, dass sich das Entsetzen, das sie während des Traums empfunden hatte, auf ihrem Gesicht widerspiegeln musste. Sie wandte den Kopf ab.
Roger machte sich an der Feuerstelle des Ofens zu schaffen. Neben ihm brannte die kleine Öllampe. Der beißende Geruch von Holz, das zu brennen beginnt, stieg auf und das Licht, das den schmalen Raum erfüllte, wurde heller.
»Als Ihr anfingt zu schreien, dachte ich zuerst, jemand würde uns überfallen«, erklärte er ruhig, ohne sich zu ihr umzudrehen. Donata erwiderte nichts.
»Habt Ihr das öfter … schlimme Träume?« Er schob ein Aststück in das Feuerloch. Ein leises Knacken ertönte, als die Flammen aufzüngelten, und mischte sich mit dem Geräusch des Windes, der über das Tal blies. Donata hatte die Empfindung, inmitten einer weiten Dunkelheit von einer Blase aus Licht umgeben zu sein.
»Ja«, erwiderte sie schließlich leise. »Und seit … seit ich den Mord beobachtet habe, kommen sie noch häufiger …« Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und schüttelte ihre Benommenheit ab. Für einige Augenblicke waren Roger und sie zwei Menschen gewesen, die es in eine Einöde verschlagen hatte und die versuchten, sich gegen die Kälte zu schützen. Doch nun wurde ihr wieder klar, dass er ihr Gegner war. »Wie habt Ihr erfahren, dass ich etwas über den Mord Enzios an dem Inquisitor wusste?«
Roger schob weitere Holzstücke in das Feuer, ehe er sich ihr gegenüber auf den Boden kauerte.
»Anscheinend habt Ihr Euch endgültig aus dem Traum befreit«, bemerkte er trocken. »Ich sah, wie Léon, Enzios Diener, Euer Bündel durchsuchte, am Bachlauf in einem Tal, nur wenige Wegstunden von der Kirchenruine entfernt. Damals hielt ich Euch für einen Knaben. Ich habe erst eine Weile später verstanden, dass dieser Knabe und die Frau, die der Kardinal wegen Ketzerei suchen ließ, ein und derselbe Mensch sind. Doch sobald mir dies klar war, habe ich auch begriffen, dass Ihr etwas über den Mord wissen musstet …«
»Wart Ihr Euch dessen schon bewusst, als Ihr mir in dem Kloster an der Mosel geholfen habt zu entkommen? Vor Enzios Leuten und den Schreibern?«
»Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich Euch danach nicht gehen lassen.« Roger beugte sich vor und legte das nächste knorrige Aststück in die Flammen.
»Nein, gewiss nicht …«
»Wenn Ihr nicht zum Beginenhaus zurückgekehrt wärt, hätte ich wahrscheinlich Eure Spur verloren.«
»Ja.« Es war Donata schon einmal zum Verhängnis geworden, dass sie Menschen, die ihr nahe standen, nicht hatte im Stich lassen wollen. Sie würde es kein weiteres Mal tun.
»Warum dient Ihr dem Kaiser?«
Roger starrte Donata an. »Was habt Ihr gefragt?«
»Ihr habt mich schon verstanden …«
»Und warum interessiert Euch das?«
Donata hob den Kopf. Das Licht der Lampe, das ihr mageres, blasses Gesicht von unten beleuchtete, verlieh ihm eine
Weitere Kostenlose Bücher