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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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so darzustellen, wie sie sind … «
    Donata hob den Kopf. Friedrichs Spitzel hatte den Arm auf seine Knie gestützt und betrachtete sie abwägend. Gegen ihren Willen fragte sie: »Was meint Ihr damit? Es sei nicht mehr gebräuchlich, Dinge und Menschen so wiederzugeben, wie sie sind?«
    Roger zuckte die Schultern. »Bei den Römern war das anders. Sie haben Menschen wirklich abgebildet. Mit allen Merkmalen, die ein bestimmter Mensch besitzt … An verschiedenen Orten im Süden habe ich etwa steinerne Büsten von Cato gesehen, einem römischen Redner. Die Büsten waren verschieden. Aber sie zeigten unverkennbar Cato.«
    »Als Kind habe ich einmal den Kopf einer Statue gefunden. Auf einem Feld, von Unkraut überwuchert. Er glich einem Menschen …«, erwiderte Donata zögernd. Sie erinnerte sich wieder an das Staunen und die unbestimmte Sehnsucht, die sie damals erfasst hatte, und an die albigensische Predigerin, die das Unkraut wieder über die Büste gezerrt und schroff erklärt hatte, dass es Sünde sei, die Welt abzubilden, denn die Welt sei schlecht. »Auf eine gewisse Weise ähnelte diese Büste dem Kardinal von Trient …« Sie sah wieder überdeutlich Enzios Gesicht vor sich, als er das Messer in den Inquisitor gestoßen hatte, kalt und grausam und erfüllt von einer Freude an der Qual des Mönches.
    »Enzio stammt aus einer weit verzweigten, alten italienischen Familie. Wer weiß, vielleicht war die Büste, die Ihr gesehen habt, das Abbild eines seiner Ahnen.« In Rogers Stimme schwang ein Anflug von Heiterkeit mit, und als Donata aufschaute, registrierte sie zu ihrer Verwunderung, dass er ein wenig lächelte.
    Hastig wandte sie sich wieder ab. Eine steinerne Büste, die einem wirklichen Menschen glich, ein Abbild, das einen Menschen zeigte, wie er war … Sie wollte mit dem Mann des Staufers nicht über diese Dinge reden. Aber schließlich fragte sie doch, während sie sich bückte und ihre Hände im Schnee säuberte: »Habt Ihr außer diesen steinernen Bildnissen auch andere gesehen? Gemalte Bilder, die die Gesichter tatsächlicher Menschen zeigen?«
    »Ja«, entgegnete Roger nachdenklich. »Nicht oft, aber einige Male. Auf einem Mosaik aus der Römerzeit oder einer Wandmalerei. Es ist merkwürdig, ein derartiges Gesicht zu sehen, wenn der Mensch, zu dem es gehörte, schon lange tot ist … Irgendwann hat man aufgehört, Menschen so wiederzugeben.«
    »Es war aber einmal möglich …«, murmelte Donata.
    Sie hatte den Kopf gesenkt. Ihr Schleier und einige Strähnen ihres fahlbraunen Haares waren nach vorn gerutscht und verdeckten halb ihr Gesicht. Dennoch bemerkte Roger, dass es einen wehmütigen Ausdruck hatte. Er legte den Knochen des Fleischstücks beiseite und rieb seine Hände ebenfalls mit Schnee ab. Dabei sagte er sich, dass ihm ihre Empfindungen völlig gleichgültig sein konnten.
    Als er sich wieder aufrichtete, starrte sie immer noch vor sich hin, als ob sie etwas Kostbares vor sich sähe, von dem sie eine unsichtbare Grenze trennte.
    »Warum interessiert Ihr Euch für diese Art zu malen?«, fragte er schließlich.
    Donata schreckte auf. Ihr Gesicht verhärtete sich und sie sagte rau: »Das geht Euch nichts an.«
    »Ihr habt mit dem Fragen angefangen …«, gab Roger zurück. Er blieb im Schnee knien und betrachtete die lang gezogenen, sattelförmigen Bergkuppen, die das Tal von allen Seiten umgaben.
    Die Sonne hatte den Zenit schon weit überschritten. In gut zwei Stunden, schätzte er, würde die Dämmerung anbrechen. Bis auf das kaum hörbare Rauschen des Wassers unter dem Eis des Bachlaufs war es fast still. Von irgendwoher aus dem verschneiten Wald war der schrille Schrei eines Tieres zu hören, das einem anderen zur Beute wurde – ebenso rasch verklungen, wie er eingesetzt hatte.
    Ein Hase, vermutete Roger, den ein Fuchs erlegt hatte. Obwohl es dafür keinen Grund gab, verspürte er eine plötzliche Unruhe. Er stand auf und ging zu Donata.
    »Was ist mit Eurem Fuß? Habt Ihr noch starke Schmerzen?«
    »Es ist besser geworden …«
    »Macht den Verband ab!«
    Sie blickte ihn zornig an, ehe sie die Tücher von dem Fuß wickelte. Durch die Tonerde waren die unteren Lagen der Tuchstreifen ineinander verbacken. Ungeduldig wartete Roger, bis sie diese voneinander gelöst hatte. Als sie fertig war und nur noch eine dünne Erdschicht den Fuß bedeckte, stellte er zu seiner Erleichterung fest, dass die Schwellung merklich zurückgegangen war.
    Nachdem er sich gebückt und den Fuß noch einmal

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