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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Tür hindurchgebückt und die verwehten Fußtritte betrachtet hatte.
    Donata schaute in den Himmel, der sich tiefblau über dem Tal spannte. Ein intensives Blau … Für einen Moment glaubte sie, statt der von dünnem Eis überzogenen Bäume Pinien zu sehen und den herben Geruch der Nadeln auf dem Waldboden zu riechen. Dorthin, in den Süden Frankreichs, konnte sie nicht zurückkehren. Aber es musste ihr im Laufe der nächsten Wochen gelingen, das Meer zu erreichen und dieses Land zu verlassen, das ihr so viel Unglück gebracht hatte.
    Als sie den Duft bratenden Fleisches roch, wandte sie den Kopf. Ein Stück von ihr entfernt kauerte Roger im Schnee. Er drehte die Teile eines Hasen, den er vor einer Weile erlegt hatte, in der Glut eines schwach glimmenden Feuers. Dünne weiße Rauchfäden stiegen davon auf, die sich jedoch schnell in der Luft verteilten und nicht in der Ferne zu sehen sein würden. Neben ihm lag der Balg des Hasen, ein bräunlich graues Fell, das im Licht seidig schimmerte.
    Er hatte sie während der vergangenen anderthalb Tage nie wirklich unbeobachtet gelassen. Wenn er auf dem Gehöft unterwegs gewesen war, um Holz zu sammeln oder um zu jagen, hatte er dies immer nur in ihrer Sichtweite getan. Sie hatte nicht vorgehabt zu fliehen. Durch die Verbände und die feuchte Erde, die sie einige Male unter seiner Anleitung auf den Fuß aufgetragen hatte, war die Schwellung zurückgegangen und auch die Schmerzen hatten nachgelassen. Aber schnell oder gar lange laufen konnte sie noch nicht. Sie hasste den Mann dafür, dass er sie nicht aus den Augen ließ und noch immer ihr Messer verwahrte.
    Abschätzend betrachtete Donata ihn. Seine Haut war eine Spur dunkler, als dies bei den Menschen aus dieser Gegend üblich war. Ansonsten unterschied ihn, mit seinem gedrungenen, breitschultrigen Körperbau sowie den hellen Kopfhaaren und Bartstoppeln, nichts von den Bauern, denen sie auf ihren Wanderungen begegnet war. Sein starkknochiges Gesicht war weder schön noch hässlich. Es war ein unauffälliges Gesicht, das gut in einer Menge verschwinden konnte. Wie dem Mann überhaupt etwas Zurückgenommenes zu Eigen war, so als wollte er es vermeiden, dass jemand auf ihn aufmerksam wurde. Erst allmählich und vielleicht auch nur weil sie es gewohnt war, wachsam zu sein, war ihr die stete Anspannung aufgefallen, die er ausstrahlte. Er ließ sie nicht unbeobachtet. Aber er registrierte auch, was in dem Tal vorging. Das rasche Auffliegen eines Vogels. Schnee, der vom Balken des zerstörten Haupthauses abbrach und mit einem dumpfen Geräusch zu Boden fiel, eine leichte Veränderung des Tons, mit dem der nahe Bach unter der Eisschicht dahinfloss.
    Roger schaute auf. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Unwillig zog er seine hellen Augenbrauen zusammen. »Habt Ihr Euch mein Gesicht nicht schon längst in allen Einzelheiten eingeprägt?«, fragte er ärgerlich. »Mit jeder Linie und Falte? Ich sagte Euch schon einmal – Ihr könntet den bösen Blick haben. Eure Art zu schauen könnte Euch irgendwann wirklich gefährlich werden. Abgesehen von den Schwierigkeiten, in denen Ihr ohnehin schon steckt …«
    »Verlasst Euch darauf, wenn ich den bösen Blick besäße, würde ich ihn gegen Euch anwenden. Aber ich habe ihn nicht.«
    Roger brummte unwillig etwas vor sich hin. Er stocherte mit einem Holzstück in der Glut. Nach einer Weile zog er zwei Hasenkeulen heraus und legte sie einen Moment lang zum Abkühlen in den Schnee. Nachdem er die verbrannte Haut abgezogen hatte, nahm er die beiden Teile und ging zu Donata. Er reichte ihr eines, kniete sich ein Stück von ihr entfernt in den Schnee und begann zu essen.
    »Warum schaut Ihr so?« Roger hatte die Hand, in der er das Hasenstück hielt, sinken lassen. »Es ist, als wolltet Ihr Euch das, was Ihr seht, einverleiben …, um es auf irgendeine Weise zu gebrauchen. Aber was habt Ihr davon, wenn Ihr Euch Gesichter oder Dinge merkt?« Seine Stimme klang herausfordernd.
    Donata antwortete nicht.
    »Sicher, Ihr seid Buchmalerin …«
    Donata hörte auf zu essen. Vor ihr auf dem Boden überdeckte eine dünne, puderige Schicht den alten Schnee. Weißlich, mit einer winzigen Beimischung von Rosa und Blaugrau und durchsetzt von Lichtpunkten.
    »Aber Ihr gebt die Dinge ja nicht so wieder, wie Ihr sie seht. Außer vielleicht, was die Pflanzen in einem Herbarium anbelangt.« Roger sprach weiter, seine Stimme klang immer noch herausfordernd. »Es ist ja nicht mehr üblich, Menschen und Dinge

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