Die Buchmalerin
glühenden Rottönen gehalten waren, umgaben drei Tauben, die einen Kreis bildeten, ineinander ein- und auseinander hervorzugehen schienen. Im unruhigen Schein des Talglichts wirkten die Tiere lebendig und kraftvoll. Nichts Sanftes war ihnen zu Eigen, sondern sie hatten den kämpferischen und stolzen Ausdruck von Adlern.
»Vater, Sohn und Heiliger Geist.« Die Nonne berührte vorsichtig mit der freien Hand den glänzenden Stoff, als sie Donatas Staunen bemerkte. »Die Stickerei ist sehr schön, nicht wahr?«
»Ja.« Donata nickte.
»Sie ist nach einer alten Vorlage unserer Äbtissin angefertigt. Vielleicht rühme ich mich unziemlich, aber ich finde, dass auch die Stickerei gut ausgeführt ist.« Die Nonne betrachtete das Werk noch einmal prüfend mit leicht zusammengekniffenen Augen, ehe sich ihr faltiges Gesicht zu einem Lächeln verzog. »Nun, eigentlich glaube ich nicht, dass es Sünde ist, sich an Schönem zu freuen. Und du scheinst dies auch zu können.«
Donata erwiderte nichts und fragte sich voller Angst, ob sie schon wieder Gefahr lief, sich zu verraten.
»Du tust Dienst in der Küche, nicht wahr?«, redete die Nonne weiter, ohne ihre Verlegenheit zu bemerken. »Auch wenn manche der Schwestern meine Ansicht nicht teilen, meine ich doch, dass Gott jedem Menschen einen Sinn für Schönheit mitgegeben hat. Geh in unsere Kirche und sprich dort ein Gebet. Sie ist die schönste Kirche Kölns, finde ich. Obwohl die anderen Kirchen auch bedeutend sind. Aber unsere hat das größte Ebenmaß und ist der Geburtskirche unseres Herrn in Bethlehem nachgebildet. Unsere Krypta wiederum ist Vorbild für jene in der Kathedrale von Canterbury gewesen.«
Die Nonne unterbrach ihren Redefluss und sann einen Augenblick über etwas nach.
»Unser Kloster besitzt viel Schönes und bringt viel Schönes hervor. Unsere Stickereien sind, nun, nicht unbedeutend und auch unser Skriptorium ist bekannt.«
»Ein Skriptorium?«, fragte Donata gegen ihren Willen. Sie hielt ihren Blick auf die Stickerei gerichtet. Erschrocken glaubte sie, den katzengleichen Dämon zwischen den roten Blüten zu erkennen. Sie erinnerte sich, von dem Kölner Skriptorium gehört zu haben.
»Ja, es liegt gleich neben dem Stickraum.« Die Nonne machte eine Handbewegung zur Wand. »Aber die Schwester, die ihm vorsteht, sieht es nicht gern, wenn jemand anderes den Raum betritt als die Nonnen, die dort arbeiten. Sie fürchtet, den Malereien oder den Schriften könne sonst ein Schaden entstehen. Aber ich rede und rede …«
Die Nonne hielt inne, wandte sich zur Tür und winkte Donata, ihr zu folgen. »Komm mit, ich bringe dich in die Halle«, sagte sie freundlich. »Du wirst dich in unseren Gebäuden noch nicht recht auskennen.«
*
Der Zinnbecher des dürren, kahlköpfigen Zunftvorstehers der Drechsler war leer. Roger trat vor, nahm einen Tonkrug von der mit Leinentüchern bedeckten Tafel und füllte das Gefäß. Nachdem er den Wein nachgegossen hatte – ein Wein von einem dunklen, kräftigen Rot, der einen guten Geruch verströmte –, kehrte er in die Reihe der Diener zurück. Von seinem Platz nahe der Wand, wie er ihm als Knecht, der beim Mahl Dienst tat, zukam, ließ er seinen Blick durch den Saal des erzbischöflichen Palastes schweifen. Der Schein der Fackeln und Kerzen mischte sich mit dem Dampf, der von den Speisen aufstieg, und dem Rauch der Kohlebecken zu einem warmen, gelblichen, ein wenig dunstigen Licht.
Der große Saal erstreckte sich in der Höhe über zwei Geschosse. Seine Wände schmückten in leuchtenden Farben gehaltene Ornamente – Bäume, Spiralen, ineinander verschlungene Flechtmuster. In der Mitte der Balkendecke hing ein runder bronzener Leuchter. Die Luft war geschwängert von Gerüchen. Die Ausdünstungen der vielleicht dreihundert Menschen, die Düfte von Wein und Speisen, von Rauch und brennendem Wachs machten das Atmen schwer. Drei Tafeln nahmen fast die gesamte Länge des Saales ein. An ihnen saßen, ihrem Rang entsprechend geordnet, wie Roger den Gesprächen ringsum entnommen hatte, die Priester, denen irgendeine Bedeutung zukam, die Patrizier, die reichen Kaufleute und wohlhabenden, einflussreichen Handwerker, die dem Rat der Stadt angehörten. Ganz vorn, am mittleren Tisch, hatten die beiden Bürgermeister der Stadt ihre Plätze: ältere Männer, beide vornehm gekleidet, deren Gesichter von der Wärme und vom Wein gerötet waren.
Eine vierte Tafel, die auf einem Podest an der Stirnseite errichtet war, schloss den Saal ab.
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